Dr. Florian Dorn
© Wegweiser Media & Conferences GmbH / Simone M. Neumann

„Der Faktor Zeit ist entscheidend.“

Dr. Florian Dorn MdB im Interview

Gerade in sicherheitspolitisch angespannten Zeiten zeigt sich, wie entscheidend schnelle und verlässliche Beschaffungsprozesse sind. Wenn Verfahren zu komplex und Entscheidungen zu langsam sind, gefährdet das nicht nur Effizienz, sondern auch Sicherheit. Wie können Beschaffung und Verwaltung so gestaltet werden, dass sie Tempo, Transparenz und Innovation gleichermaßen ermöglichen? Darüber haben wir mit Dr. Florian Dorn, Mitglied des Deutschen Bundestages und Berichterstatter im Verteidigungsausschuss zum Beschaffungswesen und dessen Beschleunigung, gesprochen.

Verwaltung der Zukunft: Herr Dr. Dorn, Sie sitzen im Deutschen Bundestag sowohl im Finanz- als auch im Verteidigungsausschuss. Bei der Beschaffungskonferenz sagten Sie: „Die Sicherheitslage hat Vorrang vor der Kassenlage.“ Welche Spannungsfelder erleben Sie in der Praxis, wenn es darum geht, diese Priorität bei Beschaffungsprozessen umzusetzen?

Dr. Florian DornDie sicherheitspolitische Lage zwingt uns, schneller und entschlossener zu handeln als in der Vergangenheit. Russland produziert mittlerweile ein Mehrfaches an Munition im Vergleich zu allen NATO-Staaten zusammen. Gleichzeitig sehen wir hybride Angriffe, Drohnenoperationen und militärische Übungen an der NATO-Ostflanke. Unsere Bundeswehr muss schnellstmöglich volle Einsatzbereitschaft erreichen – das ist die sicherheitspolitische Lage, vor der wir Beschaffung denken müssen.

Mit der Bereichsausnahme für den Verteidigungshaushalt ist es möglich, schnell kreditfinanziert die Mittel bereitzustellen, um umfangreich in die Bundeswehr und neues Material zu investieren, ohne den Restriktionen der Schuldenbremse und den Verteilungskämpfen im Bundeshaushalt zu unterliegen. Langfristig müssen wir den Aufwuchs für Verteidigungsausgaben auch im Kernhaushalt ohne neue Kredite organisieren, wenn sich die Sicherheitslage in den kommenden Jahren nicht bessert.

Dr. Florian Dorn MdB neben Vanessa Zobel MdB (CDU/CSU) beim Eröffnungsplenum der 26. Beschaffungskonferenz.
© Wegweiser / Simone M. Neumann

Das Spannungsfeld im Beschaffungsprozess für die Bundeswehr liegt darin, viele widersprüchliche Anforderungen gleichzeitig erfüllen zu wollen: Verfahren sollen rechtskonform sein, europaweit ausgeschrieben, mittelstandsfreundlich, innovationsfördernd, kosteneffizient, geopolitische Souveränität sicherstellen – und gleichzeitig schnell. Das geht nicht alles auf einmal. Deshalb müssen wir priorisieren. Und in der aktuellen Lage gilt: Der Faktor Zeit ist entscheidend.

Geld allein macht uns aber nicht einsatzfähiger. Mit dem modifizierten Gesetz zur beschleunigten Planung und Beschaffung für die Bundeswehr haben wir daher nun der Exekutive ein Instrument gegeben, um Beschaffungen im Verteidigungs- und Sicherheitsbereich auch deutlich zu beschleunigen. Es ist nun möglich, dort von starren Verfahren und komplexen Beschaffungsprozessen abzuweichen, wo Zeit und Sicherheit den höchsten Wert haben. Entscheidend ist, dass Verfahren beschleunigt, Verantwortlichkeiten klar geregelt und digitale Prozesse genutzt werden. 

Perspektivisch brauchen wir eine tiefgreifende Reform des Beschaffungsprozesses, weil das Parlament im Entscheidungsprozess derzeit viel zu spät eingebunden ist.

VdZWie groß ist der Nachholbedarf Deutschlands in der öffentlichen Beschaffung und wo sehen Sie aktuell die größten Lücken?

DornDer Nachholbedarf in der öffentlichen Beschaffung ist deutlich – sowohl im militärischen Bereich als auch bei Infrastruktur oder Digitalisierung. Über viele Jahre haben sich sehr komplexe Verfahren, zahlreiche Schnittstellen und eine hohe Regelungsdichte aufgebaut. In einer Situation, in der wir im internationalen Wettbewerb unter Druck stehen und gleichzeitig große Investitionsbedarfe und sicherheitspolitischen Druck haben, können wir uns diese Bürokratie und lange Beschaffungs- und Genehmigungsprozesse nicht mehr leisten.

Ich sehe drei zentrale Punkte, die wir verbessern müssen:

Erstens die Geschwindigkeit. Mit den letzten Reformen konnte nur ein Teil der Verfahren spürbar beschleunigt werden. Hier brauchen wir stärker digitalisierte Abläufe, klare Verantwortlichkeiten und eine Organisation, die schneller Entscheidungen zulässt.

Zweitens die Innovationsfähigkeit. Unser Beschaffungswesen reagiert häufig erst, wenn Lücken offensichtlich sind. Ökonomisch betrachtet ist das ineffizient, weil es zu Verzögerungen und höheren Kosten führt. Wir sollten Technologien wie beispielsweise im militärischen Bereich Drohnen, neue Software oder KI frühzeitiger einbinden und Instrumente wie vorkommerzielle Vergaben nutzen, um Innovationszyklen besser mitzunehmen.

Drittens die Planungssicherheit. Unternehmen investieren nur dann in Kapazitäten, wenn sie eine verlässliche Nachfrageperspektive haben. Das heißt: Mehrjährige Verträge, Vorfinanzierungen oder Abnahmegarantien in ausreichender Stückzahl sind notwendig, damit gerade Mittelständler und Start-ups bereit sind und in die Lage versetzt werden, zu investieren.

Zusammengefasst: Es geht nicht darum, alles neu zu erfinden. Wir wissen, wo die Hebel liegen. Jetzt gilt es, die Strukturen konsequent an die aktuellen Rahmenbedingungen anzupassen.

VdZDas Bundeswehrbeschaffungsbeschleunigungsgesetz soll unter anderem Innovationen fördern sowie kleine und mittlere Unternehmen stärker einbinden. Welche Kriterien wären aus Ihrer Sicht besonders wichtig, damit ein künftiges Monitoring überprüfen kann, ob diese und weitere Ziele des Gesetzes erreicht werden?

DornDas Gesetz wird nur dann Wirkung entfalten, wenn wir auch überprüfen, ob es tatsächlich funktioniert. Deshalb halte ich ein Monitoring für unverzichtbar.

Entscheidend sind für mich fünf Punkte:

Erstens, ob die Verfahren vom Bedarf bis zum Vertrag messbar schneller werden. 

Zweitens, ob Mittelstand und Start-ups stärker eingebunden sind, also der Wettbewerb weiter funktioniert.

Drittens, ob Innovationen wie Drohnen, Software oder KI viel schneller in die Truppe kommen.

Viertens, ob Unternehmen durch Rahmenverträge mit Abnahmegarantien oder Vorfinanzierungen mehr Planungssicherheit erhalten.

Fünftens, ob Verfahren trotz Beschleunigung rechtssicher bleiben.

Wichtig ist außerdem, dass wir das Gesetz nach einigen Jahren unabhängig mit Blick auf Beschaffungsbeschleunigung, Wettbewerb, Kosteneffizienz und Innovationsbeschaffung evaluieren. Nur so können wir klar erkennen, ob die Instrumente wirken und wo nachgesteuert werden muss.

Am Ende muss das Monitoring eine einfache Frage beantworten: Werden die Mittel tatsächlich schneller und effizienter in Ausrüstung und Fähigkeiten umgesetzt?

VdZAuf EU-Ebene wird versucht, die Rüstungsbeschaffung zu harmonisieren. Wie weit sind wir hier, und wo sehen Sie die größten Chancen? Welche Schritte wären aus Ihrer Sicht notwendig, um den Binnenmarkt insgesamt besser nutzen zu können?

Peter Altmaier (Bundesminister a.D., Beiratsvorsitzender Wegweiser) und Dr. Florian Dorn im Gespräch bei der 26. Beschaffungskonferenz.
© Wegweiser / Simone M. Neumann

DornWir haben in Europa erste Fortschritte gemacht, aber wir nutzen noch immer nicht das gemeinsame Potenzial in Europa. Die Chancen sind enorm: Wenn wir Bedarfe gemeinsam planen, Standards vereinheitlichen und Serienfertigung ermöglichen, entstehen Effizienzgewinne und Skaleneffekte, die wir national niemals erreichen können. Damit stärken wir nicht nur die Industrie, sondern auch unsere politische Glaubwürdigkeit nach außen.

Wichtig ist aus meiner Sicht, stärker strategisch zu denken. Das bedeutet: Wir brauchen mehrjährige Bedarfspläne, die Unternehmen in Europa Planungssicherheit geben. Wir müssen Kapazitäten gezielt in Europa aufbauen und erhalten, statt Abhängigkeiten zu verfestigen. Und wir sollten auch kleinen und mittleren Unternehmen den Zugang erleichtern, weil gerade dort viele Innovationen entstehen, die uns technologische Souveränität in der Zukunft sichern.

Am Ende geht es nicht nur um die Frage, wie wir Vergabeverfahren organisieren. Es geht um unsere Handlungsfähigkeit als Europäer. Beschaffung ist kein Selbstzweck, sondern Teil unserer sicherheitspolitischen Resilienz.

VdZWelche Prioritäten sehen Sie für die öffentliche Beschaffung in den nächsten Jahren?

DornWir müssen die Beschaffung schneller und effizienter machen. Dazu gehört, Innovationen rascher zu integrieren und den Unternehmen klare Planungssicherheit zu bieten, damit sie investieren können. Gleichzeitig ist eine verstärkte europäische Zusammenarbeit entscheidend, um unsere Ressourcen optimal zu nutzen.

Am wichtigsten ist jedoch, dass die Einsatzfähigkeit der Truppe immer im Vordergrund steht. Unsere Soldatinnen und Soldaten müssen schnell, modern und verlässlich ausgestattet werden. Dazu gilt es auch in der Verwaltung die Verfahren zu digitalisieren, Entscheidungen zu beschleunigen und auch eine gesunde Fehlerkultur zu erlauben.

Die Glaubwürdigkeit unserer Verteidigungsfähigkeit ist das entscheidende Maß – gegenüber der Truppe, unseren Bündnispartnern und für die Sicherheit Europas.