Blockchain
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Potenziale verstehen und Blockchain für die Verwaltung greifbar machen

Experte Dieter Rehfeld im Interview

September dieses Jahres hat das Bundeskabinett die Blockchain-Strategie für Deutschland beschlossen. Im Zuge dessen soll u.a. der Einsatz im Finanzsektor erprobt werden. Um das Potenzial der Technologie für die Verwaltung zu erfassen, wurde in Nordrhein-Westfalen das „rheinische Revier Reallabor“ ins Leben gerufen. Gemeinsam mit der Fraunhofer Gesellschaft und den Hochschulen aus Aachen, Bochum und Gelsenkirchen wird regio IT hier forschen. Verwaltung der Zukunft hat mit dem Vorsitzenden der Geschäftsführung des IT-Dienstleisters, Dieter Rehfeld, über die Einsatzmöglichkeiten von Blockchain gesprochen.
Dieter Rehfeld, Vorsitzender der Geschäftsführung der regio iT GmbH, ist Mitbegründer und Leiter des Blockchain-Lab der Bundesarbeitsgemeinschaft der Kommunalen IT-Dienstleister. Der Mathematiker und Volkswirt gilt als gefragter Experte für Blockchain-Technologien. Was sich in der Blockchain-Szene und darüber hinaus so tut, erzählt er in seinem Themenblog unter: govchain-blog.de
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Verwaltung der Zukunft: In zwei Sätzen erklärt: Was ist Blockchain?

Rehfeld: Blockchains sind spezielle, kryptographisch verkettete Datenstrukturen, die ihre Datensätze in einer kontinuierlich erweiterbaren Liste dezentral speichern. Werden Daten weiterverarbeitet, wird immer eine Kopie des Datensatzes auf allen beteiligten Rechnern abgelegt – dies macht die Blockchain nach heutigem Stand unlöschbar und fälschungssicher.

Diese Dezentralität und Partizipation zeichnen die Blockchain-Technologien aus: Sie erlauben es, Beteiligung, Souveränität und Gemeinsamkeiten auszubauen. Ich sehe in dieser Technologie ein Werkzeug, um der Monopolisierung in der Digitalisierung entgegenzuwirken und an einigen Stellen die Chance, im digitalen Kapitalismus Wirtschaft und Gesellschaft neu und anders zu gestalten gerade angesichts der Entwicklung des Internets der Information hin zu einem Internet der Werte, über das wir künftig Verträge schließen und Handel treiben werden.

Verwaltung der Zukunft: Wo sehen Sie die größten Potenziale für die Anwendung von Blockchain in der deutschen Verwaltung?

Rehfeld: Eine wesentliche Aufgabe von Verwaltungen ist es, Bürgern oder Organisationen Rechte zuzuweisen: Sie dürfen ein Haus bauen, einen Hund halten, ihren Partner heiraten oder ein Fahrzeug führen. Jede Veränderung dieser Zuweisung wird von Verwaltungen verfolgt, dokumentiert und nachvollziehbar archiviert. Es ist ein immenser Aufwand, diese vielen und sehr unterschiedlichen Datenbanken zu koordinieren. Die Ergebnisse sind immer aufwendige Insellösungen.

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Als Bürger könnte ich mir mit der Blockchain meine Datenhoheit zurückerobern.

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Als Bürger könnte ich mir mit der Blockchain meine Datenhoheit zurückerobern. Heute geben wir an zig Portalen unsere Daten ab, ohne zu wissen, was mit ihnen geschieht. Die Blockchain macht es grundsätzlich möglich, sich eine einmalige virtuelle Identität zu schaffen und sie selbst zu managen, statt sie großen Konzernen wie Amazon, Facebook oder Google zu überlassen. Das Stichwort ist hier „Self Sovereign Identity“ – die selbstbestimmte digitale Identität. Ich könnte also nachverfolgen, wer wann auf meine Daten zugegriffen hat und wem ich wann den Zugriff erlaubt habe. Man kann auch noch weiterdenken: Wäre es nicht an der Zeit, den Kommunen die Aufgabe zu übertragen, für ihre Bewohner nicht nur ihre bürgerliche, sondern auch die digitale Identität zu führen? Mit der Blockchain lässt sich diese Aufgabe technisch lösen.

Verwaltung der Zukunft: Kennen Sie Behörden, in denen Blockchain bereits erfolgreich Anwendung findet?

Rehfeld: Noch fehlt es an konkreten Umsetzungen. Doch die Politik hat die Potenziale der Technologie erkannt: So hat die Bundesregierung jüngst eine Blockchain-Strategie für Deutschland beschlossen, und auch auf Landesebene in Nordrhein-Westfalen tut sich so einiges. Im Rheinischen Revier wird ein Reallabor für die Blockchain-Technologie entstehen, 1,2 Mio. Euro Fördergelder stellt die Landesregierung hierfür bereit. Im Labor sollen Use Cases entwickelt und konkrete Anwendungen erprobt werden, starten sollen die Praxisprojekte in 2020.

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Die Use Cases können entscheidend dazu beitragen, die Potenziale der Blockchain verständlich und ihren Nutzen greifbar zu machen.

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Ein weiteres Projekt, govchain.nrw, beschäftigt sich aktuell damit, auf einer NRW-weiten kommunalen Blockchain-Infrastruktur sichere, effektive, effiziente und gebrauchstaugliche Anwendungen zu implementieren und damit Nutzen zu stiften. Dabei geht es um Themen wie Registermodernisierung, Bürgerkonten, eGovernment-Services, Rechtemanagement und Anwendungsfälle im Internet of Things. Wie genau dazugehörige Use Cases aussehen können, soll das Projekt zeigen.

Die eigentliche Herausforderung sehe ich darin, Missverständnissen und Vorurteilen gegenüber der neuen Technologie entgegenzuwirken. Hier besteht noch großer Informationsbedarf, zum Beispiel in puncto Sicherheit oder Energiebedarf. Auch muss deutlich werden, dass es bei der Technologie um weit mehr geht als nur um elektronische Zahlungsmittel. Die Use Cases können entscheidend dazu beitragen, die Potenziale der Blockchain verständlich und ihren Nutzen greifbar zu machen.

Das Reallabor im Rheinischen Revier soll den Fokus auf Anwendungen in den Sektoren Energie, Wasser und Mobilität richten.
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Verwaltung der Zukunft: Gibt es bereits festgelegte Projektthemen?

Rehfeld: Das Reallabor im Rheinischen Revier soll den Fokus auf Anwendungen in den Sektoren Energie, Wasser und Mobilität richten, etwa bei der kommunalen Wasserversorgung oder der intelligenten Abrechnung von Energieverbrauch. Aber auch in den Bereichen Logistik, Industrie und Finanzwirtschaft sollen Anwendungen erprobt werden. Mit diesem bundesweit einzigartigen Projekt wird NRW zum Vorreiter beim Aufbau des Internets der Werte.

Verwaltung der Zukunft: Welche Bedeutung haben Blockchain-Technologien für die Erfüllung der Forderungen des Onlinezugangsgesetzes?

Rehfeld: Mit den Blockchain-Technologien kann die digitale Transformation der Verwaltung weiter vorangetrieben werden. Ihre Potenziale für den öffentlichen Sektor liegen vor allem in der Digitalisierung des „Bescheinigungswesens“. Im täglichen Leben und im Geschäftsverkehr geht nichts ohne Nachweise, Urkunden und Bescheinigungen. Diese zu beschaffen, bedeutet Aufwand sowie Wartezeiten und verursacht hohe Transaktionskosten. Für Bürger, Unternehmen und Verwaltung gleichermaßen. Diese Transaktionskosten könnte die Blockchain reduzieren, Prozesse transparent machen und das Leben deutlich vereinfachen. Sie verbindet öffentliche Register und Nutzer. All das ist schließlich, was das Onlinezugangsgesetz will: Die Digitalisierung beschleunigen, digitale Souveränität stärken und Verwaltungen näher zu Bürgern und Unternehmen bringen.