„Ärmel hochkrempeln und volle Kraft voraus“
Papenburg gewinnt den Public Leadership Award 2025 in der Kategorie „Leadership“
Verwaltung der Zukunft: Herzlichen Glückwunsch zum Public Leadership Award 2025! Was bedeutet diese Auszeichnung für Sie und Ihr Team?
Elke Nieweler: Vielen Dank! Der Public Leadership Award ist für uns eine große Anerkennung, vor allem deshalb, weil er nicht nur das Ergebnis des Gesamtprojekts würdigt, sondern den strategischen und kulturellen Wandel, den wir als Verwaltung insgesamt gestalten. Dass wir mit unserem Projekt „Rathaus 5.0“ bundesweit als innovativer Vorreiter gesehen werden, bestätigt uns in den gewählten Ansätzen und Themen. Damit hätten wir als „Underdog“ (Zitat Bürgermeisterin) nicht gerechnet.
Für unser Team und auch in der Zusammenarbeit zwischen Verwaltung und Politik ist die Auszeichnung ein starkes Zeichen. Unser Mut zur Veränderung und die Bereitschaft, alte Strukturen zu hinterfragen und neue Wege zu gehen, zahlen sich aus. Es ist eine Teamleistung, getragen von Kolleg*innen auf allen Ebenen, die diesen Wandel mit Überzeugung vorantreiben.
VdZ: Können Sie unserer Leserschaft kurz erläutern, was hinter dem Projekt „Rathaus 5.0 – Verwaltung neu gedacht: Flexibel und bürgernah“ steckt?
Nieweler: „Rathaus 5.0“ ist der strategische Rahmen für die umfassende Modernisierung der Stadtverwaltung. Unser Ziel war es, nicht nur Verwaltungsprozesse zu digitalisieren,
sondern eine zukunftsfähige Organisationsstruktur zu schaffen, verbunden mit einer
neuen Führungskultur und einer klaren Bürgerorientierung.
Konkret umfasst das Projekt fünf zentrale Bausteine:
1. Eine schlanke Verwaltung durch die Abschaffung der klassischen Dezernatsebene und Einführung von sechs klar ausgerichteten Geschäftsbereichen.
2. Strategisches Führen, u. a. durch Zielkaskaden, die jährlich bottom-up weiterentwickelt werden und Grundlage für die leistungsorientierte Bezahlung sowie Produktziele bilden.
3. Ein zentrales Projektmanagement, das je nach Bedarf klassische und agile Methoden zulässt und durch die Software Asana unterstützt wird.
4. Ein neues Rathaus mit Multispace-Ansatz und modernen, serviceorientierten Kundenzonen.
5. Eine weiterentwickelte Digitalisierungsstrategie, die auf E-Akte, OZG-Angeboten und künftig auch auf KI, RPA und Smart-City-Elementen basiert. Der Mensch rückt in den Fokus.
VdZ: Was war der Auslöser bzw. das „Warum“ hinter dieser tiefgreifenden Leadership-Initiative?
Nieweler: Auslöser war der Bedarf an einem neuen Verwaltungsgebäude, da der Rathausanbau aus den 70er Jahren aus Brandschutzgründen abgerissen werden musste. Wir sind mit den ersten Planungen für das neue Rathaus im Jahre 2019 gestartet. Zu einer Zeit, in der wir als Verwaltung noch nicht sehr digital unterwegs waren. Einzel- oder Doppelbüros gehörten zum Standard. Bedingt durch die Corona-Pandemie wurde schnell klar, dass mobiles Arbeiten, Homeoffice und Desk-Sharing möglich sind.
Darüber hinaus wurde u. a. im Zusammenhang mit dem Auslaufen der Amtszeit eines Dezernenten eine neue Organisationsstruktur entwickelt.
Weitere Veränderungsimpulse: Wir wollen als Kommune den digitalen Wandel aktiv gestalten, dem Fachkräftemangel vorbeugen, indem wir uns als attraktive Arbeitgeberin positionieren, vor allem unsere Servicequalität verbessern und die eigene Steuerungsfähigkeit erhöhen. Somit haben wir uns entschieden, die Ärmel hochzukrempeln und volle Kraft voraus neue Wege zu gehen: Ins neue Rathaus sollten keine Aktenschränke mehr umziehen. Ein offenes, modernes, dienstleistungsorientiertes Konzept sollte es werden.
Ziel war es, die Stadtverwaltung Papenburg mit klarer strategischer Ausrichtung, interdisziplinärer Zusammenarbeit und einer Führungskultur, die Eigenverantwortung und Vertrauen stärkt, aufzustellen. Mit dem „Warum“ vor Augen konnten wir strukturelle, kulturelle und methodische Veränderungen systematisch anstoßen.
Ins neue Rathaus sollten keine Aktenschränke mehr umziehen.
VdZ: Wie hat sich das Rollenverständnis von Führungskräften im Rahmen des Projekts konkret verändert?
Nieweler: Führung in Papenburg ist heute stärker auf Begleitung, Unterstützung und Gestaltung ausgerichtet. Weg von Kontrolle, hin zu Vertrauen und Verantwortung. Unsere Führungskräfte agieren verstärkt als Coach, Moderator*in und Möglichmacher*in. Das gelingt nicht von heute auf morgen. Es ist ein kontinuierlicher Prozess, der zentral begleitet werden muss und sich erst sukzessive verstetigt.
In der Praxis bedeutet das: Entscheidungen werden dort getroffen, wo Fachwissen vorhanden ist. Es geht darum, Teams zur Selbstorganisation zu befähigen, Ergebnisse transparent zu kommunizieren und gleichzeitig Orientierung zu geben. Zielvereinbarungen werden heute im Rahmen unserer strategischen Zielkaskade getroffen und lassen bewusst Raum für individuelle Lösungen.
Unsere Führungskräfte agieren verstärkt als Coach, Moderator*in und Möglichmacher*in.
VdZ: Welche Maßnahmen haben Sie ergriffen, um Führungskräfte in ihrer Entwicklung zu unterstützen?
Nieweler: Wir stärken die methodischen, digitalen und kommunikativen Kompetenzen unserer Führungskräfte. Sie nehmen eine Schlüsselrolle in dem Gesamtprojekt ein und fungieren als Multiplikatoren. Neben klassischen Schulungen bieten wir Coachings (Einzel/Team), kollegiale Beratung und Workshops an. Wir haben unsere Führungsleitlinien gemeinsam aktualisiert, führen mindestens einmal jährlich Führungsklausuren mit allen Führungskräften durch. Die Changeprozesse werden zentral eng begleitet.
Eine bedeutende Rolle kommt dabei unserer E-Learning-Plattform „LernStadt Papenburg“ zu. Gleichzeitig nutzen wir Tools wie Asana, Conceptboard und perspektivisch MS Teams, um Transparenz und moderne Zusammenarbeit zu fördern.
VdZ: Was würden Sie anderen Verwaltungen empfehlen, die eine ähnliche Reise starten wollen? Gibt es Dos and Don’ts?
Nieweler: Ein zentrales Do ist: Nehmen Sie sich Zeit, das gemeinsame Zielbild zu klären und
zwar mit allen Beteiligten. Der Austausch mit der Politik ist neben den regelmäßigen
Sitzungen wichtig, z. B. im Rahmen von Strategieklausuren. Der Personalrat wirkt in
den Projektgruppen mit. Eckpunkte werden dabei zu Leitlinien und ein transparenter
Umgang mit den Themen schafft Akzeptanz.
- Die Reformen müssen von der Verwaltungsspitze und von der Politik auch wirklich gewollt sein und mitgetragen werden.
- Beteiligung frühzeitig und ernsthaft gestalten: Mitarbeitende sind keine Zuschauer, sondern Mitgestalter, Kommunikation ist wichtig. Wir haben die erarbeiteten Eckpunkte immer und immer wieder kommuniziert in Schulungen, Gesprächsrunden und Workshops.
- Zentrale Ansprechpersonen für Fragen und Anregungen sollten zur Verfügung stehen.
- Führung als Hebel begreifen, denn ohne kulturellen Wandel scheitern selbst gute Strukturen.
- Pilotprojekte nutzen, um Erkenntnisse zu gewinnen und Akzeptanz aufzubauen.
Don’ts wären:
- Veränderung nur als technisches Digitalisierungsprojekt behandeln
- Reformen „über Nacht“ einführen, Veränderung braucht Zeit
- Führung vernachlässigen oder zu stark zentralisieren
- Fehler als Rückschritte betrachten, sie sind Lerngelegenheiten
VdZ: In vielen Kommunen entstehen derzeit Transformationsprozesse, allerdings häufig isoliert voneinander. Wie beurteilen Sie die aktuelle Form der kommunalen Zusammenarbeit? Sehen Sie Potenzial für mehr strategische Vernetzung?
Nieweler: Ich sehe in der interkommunalen Zusammenarbeit ein großes, bislang noch nicht ausgeschöpftes Potenzial insbesondere vor dem Hintergrund, dass nahezu alle Kommunen mit sehr ähnlichen Herausforderungen konfrontiert sind: Knappe Personalressourcen, steigende Erwartungen der Bürger*innen an digitale Services, komplexe regulatorische Anforderungen und ein stark fragmentierter Markt an Fachverfahren. Was häufig fehlt, sind gemeinsame Standards, einheitliche technische Infrastrukturen und verbindliche Austauschformate. Unterschiedliche Systemlandschaften erschweren die Kooperation, insbesondere im IT- und Digitalbereich. Hier wäre eine koordinierte, überregionale Herangehensweise wünschenswert, idealerweise durch die kommunalen IT-Dienstleister, die Landkreise oder zentrale Landesstellen.
Ein positives Beispiel ist für uns die Zusammenarbeit im Landkreis Emsland. Über das gemeinsame Portal OpenR[at]thaus bündeln die Kommunen im Landkreis bereits viele digitale Bürgerdienste. Ebenso schätzen wir die enge Kooperation mit dem Zweckverband KAAW, der uns in der Fortschreibung der Digitalisierungsstrategie 2.0 begleitet und den interkommunalen Austausch gezielt fördert, z. B. über Best-Practices. Gleichzeitig wäre es aus unserer Sicht sinnvoll, Kommunen verstärkt an bestehenden Landesrahmenverträgen zu beteiligen, etwa bei Technologien wie M365 oder im Bereich datenschutzkonformer KI-Anwendungen. Hier wünschen wir uns mehr Unterstützung und Beratung, z. B. durch das Land, die Rechenzentren oder kommunale Spitzenverbände.
Eine sehr konkrete und vielversprechende Idee ist derzeit eine Initiative im Landkreis Emsland, bei der sich im August erstmals die Verantwortlichen aus Steuerung, IT und Digitalisierung der Kommunen Landkreis Emsland, Städte Lingen, Meppen und Papenburg gemeinsam an einen Tisch setzen. Ziel ist es, gemeinsame Bedarfe zu identifizieren, Synergien zu nutzen und bewusst auch Aufgaben zu verteilen. Also nicht nur voneinander zu lernen, sondern sich aktiv strategisch zu ergänzen. Dieser Schritt hin zu einer kooperativen Verantwortungsgemeinschaft wäre aus unserer Sicht richtungsweisend.
Interkommunale Zusammenarbeit ist kein Selbstläufer, aber ein wesentlicher Baustein für nachhaltige Verwaltungsentwicklung. Sie muss strategisch gedacht, professionell moderiert und technisch ermöglicht werden. Ich sehe große Chancen, wenn wir uns trauen, über Stadtgrenzen hinaus zu planen. Nicht als Konkurrenz, sondern als Partner mit gemeinsamen Zielen.
VdZ: Zum Abschluss: Welche nächsten Schritte planen Sie für Papenburg und was sind Ihre langfristigen Ziele?
Nieweler: Wir befinden uns aktuell in einer wichtigen Umsetzungsphase: Der Neubau des Rathauses wurde im Frühjahr bezogen, das zentrale Projektmanagement ist in Pilotprojekten etabliert und der erste Workshop zur Fortschreibung der Digitalisierungsstrategie 2.0 hat am 10.07.2025 stattgefunden. Es folgen zwei weitere bis zum Jahresende.
Wir möchten den Kundenservice über digitale Angebote, z. B. über eine Papenburg-App, und die Besuchersteuerung per Online-Terminvergabe weiter optimieren. Richtung Jahresende werden wir nochmals das Thema „Strategie und Ziele“ in der Führungsklausur aufgreifen.
Mittelfristig wollen wir die neuen Modelle evaluieren und verstetigen. Die Zielkaskaden werden wir weiter schärfen und mit dem Projektmanagement verbinden.
Langfristig möchten wir uns als agile, vernetzte und bürgerzentrierte Verwaltung positionieren und agieren. Unser Anspruch ist es, nicht nur moderner Dienstleister, sondern aktiver Zukunftsgestalter für unsere Stadt zu sein. „Rathaus 5.0“ ist dabei der Ausgangspunkt – nicht das Ende.