Hannover Landeshauptstadt
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Von starren Hierarchien zur agilen Organisation: Start-up-Mentalität im Rathaus Hannover

Interview mit Dezernatsleiter Prof. Dr. Ing. Lars Baumann

Prof. Baumann leitet seit Oktober 2020 das Dezernat für Personal, Digitalisierung und Recht in der Landeshauptstadt Hannover. Wir haben mit ihm über die Vision eines digitalen Rathauses, agiles Projektmanagement und seinen unternehmerischen Hintergrund gesprochen.

Verwaltung der ZukunftMit dem Digitalisierungsfonds von 48 Millionen Euro verfolgt die Landeshauptstadt Hannover die Vision eines digitalen Rathauses. Ziel ist es, Verwaltungsprozesse für Bürgerinnen und Bürger so nutzerfreundlich zu gestalten wie gängige Online-Dienste. Wie weit sind Sie auf diesem Weg bereits gekommen?

Prof. Dr. Ing. Lars BaumannWir machen große Fortschritte. Im ersten Quartal 2025 konnten wir unser Angebot um weitere 18 Online-Services erweitern, sodass wir nun insgesamt 195 digitale Verwaltungsdienste anbieten. Dazu gehören unter anderem die Elektronische Wohnsitzanmeldung, verschiedene Antragsverfahren der Ausländerbehörde sowie der Grundsteuer-Assistent – ein eigens entwickelter KI-Chatbot.

Prof. Dr. Ing. Lars Baumann hat am 1. Oktober 2020 die Leitung des Dezernats für Personal, Digitalisierung und Recht übernommen. Zuvor lehrte er im Bereich Wirtschaftsinformatik und Verwaltungsinformatik an der Hochschule Hannover. Als Unternehmer und Berater ist er in der IT-Branche seit rund 20 Jahren aktiv und ist unter anderem Experte für Themen der Organisationsentwicklung und des agilen Projektmanagements.
© Prof. Dr. Ing. Lars Baumann

Seit Februar 2025 gibt es offiziell das KI-Kompetenzzentrum in der Taskforce Digitalisierung. Damit haben wir eine solide Basis geschaffen, um sowohl unseren Behörden- und Einwohner-Chatbot zu etablieren als auch eine KI-Governance einzurichten. Die Bürger*innen nehmen unsere digitalen Angebote sehr gut an. Wir beobachten einen kontinuierlichen Anstieg der Besucherzahlen des Serviceportals und das Antragsaufkommen ist im Vergleich zum Vorjahresquartal um 147 % gestiegen.

VdZDigitalisierung erfordert oft flexible und agile Verwaltungsstrukturen. Welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht?

BaumannVor etwa zwei Jahren haben wir begonnen, in verschiedenen Fachbereichen agile Teams zu etablieren. Diese Teams setzen sich aus klassischen Arbeitsgruppen zusammen, die gemeinsam komplexe Projekte bearbeiten. Wir haben hier vor allem mit der Methode Scrum gearbeitet und konnten dadurch eine effizientere Projektbearbeitung sowie eine deutlich verbesserte Zusammenarbeit erreichen.

Ein Beispiel ist ein Projekt im Schulbereich, das sich in der klassischen Struktur festgefahren hatte. Mit Scrum gelang es uns innerhalb weniger Wochen, ein hervorragendes Ergebnis zu erzielen. Auch im Bereich der Feuerwehr konnten wir mit dem Projekt „E-Learning im Rettungsdienst“ zeigen, dass Scrum nicht nur für IT-Projekte geeignet ist.

Ich bin sehr stolz auf meine Kolleg*innen, die den Mut haben, neue Arbeitsweisen zu testen und im öffentlichen Dienst zu etablieren. Ich bin sicher, dass wir in den kommenden Jahren weitere wertvolle Erfahrungen sammeln und Scrum zunehmend nicht nur projektbezogen, sondern dauerhaft als Arbeitsweise einsetzen können.

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Ich bin sehr stolz auf meine Kolleg*innen, die den Mut haben, neue Arbeitsweisen zu testen und im öffentlichen Dienst zu etablieren.

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VdZDer Übergang zu flexibleren Verwaltungsstrukturen verändert auch die Führungskultur. Welche neuen Führungsmodelle sind notwendig, um Silodenken zu überwinden?

BaumannDie größte Herausforderung moderner Verwaltungen besteht darin, übergreifende Teams zu bilden und Silostrukturen innerhalb der Dezernate aufzubrechen. Jedes Projekt, das wir angehen, erfordert die Zusammenarbeit mehrerer Fachbereiche.

Nehmen wir die Unterbringung geflüchteter Menschen als Beispiel: Hier müssen Bau, Soziales, gesellschaftliche Teilhabe, Finanzen und Digitalisierung Hand in Hand arbeiten. Agiles Arbeiten erleichtert die Vernetzung dieser Bereiche erheblich und führt zu einer deutlich schnelleren Umsetzung von Aufgaben.

Dieser Wandel erfordert jedoch, dass klassische Hierarchien in den Hintergrund treten und Teams mehr Verantwortung übernehmen. Wir haben bereits vor einigen Jahren einen Kulturwandelprozess angestoßen, der diese neue Form der Zusammenarbeit aktiv fördert.

VdZSie haben mehrere Unternehmen gegründet, bevor Sie eine Professur innehatten und dann in die Verwaltung gewechselt sind. Welche unternehmerischen Erfahrungen können Sie in Ihrer aktuellen Rolle nutzen?

BaumannAls Unternehmer lernt man pragmatisch zu denken und mit begrenzten Ressourcen effektive Lösungen zu schaffen – genau diese Herangehensweise hilft mir in der Verwaltung.

Auch hier müssen wir bürgernah und pragmatisch arbeiten und gleichzeitig viele Themen parallel bearbeiten. Verwaltung ist in gewisser Weise wie ein Startup: Es geht darum, fachübergreifend Teams zu bilden, Energie freizusetzen und innovative Lösungen zu entwickeln.

Kurz gesagt: Unternehmerische Erfahrungen helfen mir, einen dynamischen und frischen Blick auf Verwaltungsprozesse zu behalten.

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Verwaltung ist in gewisser Weise wie ein Startup: Es geht darum, fachübergreifend Teams zu bilden, Energie freizusetzen und innovative Lösungen zu entwickeln.

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VdZSie verantworten die Bereiche Personal, Digitalisierung und Recht. Wie verbinden Sie diese Querschnittsthemen miteinander?

BaumannPersonal und Digitalisierung sind eng miteinander verbunden. Digitalisierung bedeutet nicht nur technische Neuerungen, sondern auch Veränderungen in Arbeitsweisen. Meiner Meinung nach wird bei vielen Digitalisierungsprojekten zu wenig darauf geachtet, wie man die Mitarbeitenden mitnehmen kann.

Ich stelle mir immer zuerst die Frage: „Was braucht das Personal, um seine Arbeit gut zu erledigen?“ Diese Herangehensweise ist eine wertvolle Quelle für Ideen. Wenn wir darauf aufbauend gute technische Lösungen entwickeln, werden diese auch besser angenommen.

Der Bereich Recht ist zwar spezieller, aber auch hier werden KI und digitale Werkzeuge zu großen Veränderungen führen. In den letzten Jahren haben wir bereits viele Veränderungsprozesse durchlaufen, und der nächste Schritt wird sein, digitales Wissen gezielt für eine effizientere Bearbeitung rechtlicher Themen zu nutzen.

VdZ: Eine abschließende Frage: Welche Beweggründe haben Sie dazu veranlasst, eine Rolle in der Verwaltung zu übernehmen?

Baumann: Hannover ist meine Geburts- und Heimatstadt, für mich war es ein großer Ansporn die Verantwortung für den Personal, Digitalisierungs- und Rechtsbereich zu übernehmen und Veränderungsprozesse einzuleiten. Ich liebe neue Herausforderungen und dieser Job war definitiv eine spannende Aufgabe, der ich mich stellen wollte.

Prof. Dr. Ing. Lars Baumann auf dem 11. Zukunftskongress Staat & Verwaltung

🗓️ 24. Juni 2025, 17:15-18:15 Uhr
➡️ Hier geht's zur Session

Prof. Dr. Ing. Lars Baumann spricht auf dem 11. Zukunftskongress in der Zukunftswerkstatt Von starren Strukturen und Hierarchien zu flexibler Zusammenarbeit: Wie rollenbasierte Modelle Behörden leistungsfähiger machen.