In anderen Ländern erhält man Urkunden(-abschriften) beweiskräftig digital signiert, oftmals gratis und binnen einer Minute online, darunter auch in einem Staat, der seit mehr als drei Jahren von einem Aggressionskrieg überzogen wird.
In Deutschland wird man hier, wie man in München sagt, „zum Besten gehalten“: So dauert ein sogenannter Online-Bürgerservice in Berlin elf Wochen, in München zwei Wochen. Dass dies keine digitale Erledigung ist, ist offensichtlich. Zusätzlich werden pro Jahr zig Millionen unnötiger Fahr- und Wartezeiten von Bürgerinnen und Bürgern „produziert“, die ähnlich wie die persönlichen Besuche in Bankfilialen in den 1950ern bis 1990ern heute ersatzlos digitalisierbar wären.
Eine kurze Beschreibung der notwendigen Basistechnologien
Um eine Urkunde auszustellen, bedarf es folgender Voraussetzungen:
- Rechtssichere Authentifizierung und Identifizierung des Antragstellers bzw. seines Vertreters. Dies geschieht mit einem eIDAS-konformen elektronischen Identifizierungsmittel, wie beispielsweise der eID des deutschen Personalausweises. Dies sollte für viele Verwaltungsanwendungen, in denen inhaltlich etwas zu authentisieren ist, durch eine digitale Signatur ergänzt werden, die leider kein Bestandteil der deutschen eID ist.
- Die Register müssen gepflegt und 24/7 online verfügbar sein. Ein zentrales Register ist hier definitiv sinnvoller als tausende dezentrale Register, wie sie in Deutschland auch nach einer etwaigen Umsetzung der Registermodernisierung weiterhin existieren werden.
- Einfache Bedienung über eine Webseite und/oder eine App, die staatlicherseits und gratis zur Verfügung gestellt wird.
- Digitale Signatur der Urkunde durch die Behörde. Diese muss zumindest ein fortgeschrittenes, besser ein qualifiziertes elektronisches Siegel nach Art. 37 eIDAS-VO sein.
- Zustellung entweder direkt über die Webseite oder App, oder aber einen sicheren staatlichen e-Zustelldienst wie z. B. in Dänemark e-Boks.
Dem Legalitätsprinzip folgend, müssen dafür die rechtlichen Voraussetzungen existieren. Dies alles ist technisch und, mit Rücksicht auf die Signaturrichtlinie 1999/93/EG, auch organisatorisch-rechtlich seit spätestens 2002 möglich. Sofern der Mitgliedstaat das wollte.
In München gibt es wertlose „Online-Meldebescheinigungen“ – aber nur für Inhaber deutscher eIDs
In der laut Bitkom digitalsten und smartesten Stadt Deutschlands, der bayerischen Landeshauptstadt München, gibt es eine Meldebestätigung als „Ende-zu-Ende-gesteuerten Onlinedienst“, der es bei genauerer Betrachtung in sich hat: Denn das Ergebnis dieses Dienstes ist eine einfache PDF-Datei ohne digitale Signatur, zu der die Pressestelle der Stadt auf Anfrage ehrlicherweise bekannte: „Ja, die Meldebescheinigung ohne Siegel oder Signatur hat keine hohe Beweiskraft und lässt sich leicht fälschen. Wird eine Bescheinigung mit höherer Beweiskraft benötigt, ist eine schriftliche Meldebescheinigung mit Unterschrift und Dienstsiegel zu beantragen (gegen eine Gebühr in Höhe von 5 €).“
Die Anmeldung, um als Unionsbürger an die besagte wenig beweiskräftige „Meldebescheinigung“ zu kommen, lässt ebenfalls zu wünschen übrig, denn bei Anmeldung via BundID mit einer nach Art. 6 eIDAS-VO als gleichwertig zu akzeptierenden ID Austria erhält man folgende Fehlermeldung:
Wie Nachforschungen ergaben, wird dies damit begründet, dass Österreich bei der Identifikation die Hauptwohnsitzadresse des Inhabers (diese ist in München!) nicht mitliefert. Dass dies ein Verstoß gegen Art. 6 eIDAS-VO ist, erscheint offensichtlich und wird demnächst noch Gegenstand einer Beschwerde eines der Autoren bei der Europäischen Kommission sein.
Urkundenservice Österreich
In Österreich ist es seit Jahren einfach möglich, binnen einer Minute gratis von der Behörde digital signierte Urkunden zu erhalten. Entweder unter der Webseite von oesterreich.gv.at oder direkt in der App „ID Austria” erhält man diese nach Authentifikation und Identifikation mit der ID Austria oder einem gleichwertigen eIDAS-konformen Identifizierungsmittel binnen einer Minute online über die App oder die Webseite zugestellt. Es ist bemerkenswert, dass seitens Österreichs die deutsche eID rechtskonform anerkannt wird – während deutsche Behörden regelmäßig die Anerkennung eIDAS-konformer ausländischer Identifizierungsmittel verweigern, bspw. beim staatlichen Organspenderegister. Wobei die ID Austria Services gratis (Heirats- bzw. Scheidungsurkunde oder Geburtsurkunde) oder wenigstens deutlich billiger als in Papierform sind – so bspw. 13 Euro für ein digitales polizeiliches Führungszeugnis statt 21 Euro für eines in Papierform.
Urkundenservice Ukraine
Die den VdZ-Leserinnen und -Lesern bereits bekannte App „Dija“ hat mittlerweile 60 Services für Privatpersonen (Hinweis: deutsche Übersetzung im Browser einschalten). Und diese Services werden auch verwendet: Pro Jahr werden beispielsweise 1,6 Mio. Autos wiederzugelassen und 1,4 Mio. Wohnsitzmeldungen abgegeben. Damit ergeben sich pro Jahr nach Angaben der ukrainischen Regierung Einsparungen von 1 Mrd. Euro; ein Wert, den man in Relation zum wesentlich geringeren Einkommensniveau in der Ukraine sehen muss (Durchschnittseinkommen öffentlicher Dienst 410 Euro pro Monat). Diese Einsparungen werden auch an die Bürger weitergegeben: So kostet etwa die Wohnsitzmeldung online über Dija umgerechnet 4,40 Euro statt offline 52,70 Euro. Reine Bestätigungen sind über Dija in der Regel gratis und werden als digital signierte PDF an die Dija-App ausgeliefert.
Urkundenservice Israel
Dass man im hochgradig digitalisierten Israel Urkunden wie z. B. eine Geburtsurkunde oder eine Sterbeurkunde digital signiert erhält, verwundert wohl niemanden.
Sparpotenzial in Deutschland
Für die Landeshauptstadt München haben wir von der Pressestelle folgende Zahlen erhalten:
- Meldebescheinigungen
- Rein digital, aber nicht vom Aussteller digital signiert: 6.930
- Digitale Beantragung mit anschließender manueller Bearbeitung: 918 à 4 Minuten Bearbeitungszeit
- Im Rahmen einer persönlichen Vorsprache: 19.791 à 4,5 Minuten Bearbeitungszeit
Dies wären 92.731,5 Minuten oder 193 Tage Arbeitszeit, was ungefähr einer Vollzeitstelle entspricht. Nicht gerechnet sind hier die Aufwände, die den Antragstellern entstehen – samt Fahr- und Wartezeiten kann man hier in München getrost von circa 60.000 Stunden ausgehen, eine bitkom-Umfrage aus 2024 kam auf im deutschlandweiten Mittel 2 Stunden 21 Minuten. Von den reiseinduzierten CO2-Emissionen der fast 20.000 Antragsteller durch die Nichtdigitalisierung nicht zu reden.
- Personenstandsurkunden
- 76.000 ohne „Erstausstattung“, d.h. ohne bspw. die Heiratsurkunden bei der Trauung und die Geburtsurkunden bei der Geburt à 15 Minuten
Das wären 19.000 Stunden oder fast 11 Vollzeitarbeitskräfte, hier wiederum nicht die Fahr- und Wartezeiten der Bürger mit 228.000 Stunden angesetzt und auch CO2 vernachlässigt.
Diese Werte sind Grenzkosten – ohne Overheads in den Verwaltungen, ohne Dinge wie Ablage, Verteilzeiten oder Ähnliches. Hier müsste vermutlich ein Faktor von 2 bis 3 angesetzt werden. Wenn wir diese Zahlen unverändert übernehmen, entspräche das hochgerechnet auf Deutschland bei 1,5 Mio. Einwohnern Münchens etwa 609 Vollzeitstellen sowie rund 16 Mio. Stunden Fahr- und Wartezeit für die Bürgerinnen und Bürger, die man bei einer echten Digitalisierung nur dieser beiden Bereiche sparen könnte. Dass die drei Stunden wohl niedrig angesetzt sind und sich mittlerweile bei Terminen sogar Gewaltausbrüche gegen Mitarbeitende ereignen, ist belegt – ein Grund mehr, auf völlig unnötige Anwesenheitspflichten in Ämtern zu verzichten und Prozesse lieber zu digitalisieren, ähnlich wie die Digitalisierung der Banken die Banküberfälle deutlich reduzierte.
Es sind neben Meldebescheinigungen und Personenstandsurkunden noch weitere – theoretisch alle – Urkundentypen digitalisierbar. Hier wären vor allem anzuführen:
- Führungszeugnisse: Laut BMJ sprechen wir hier von 5 Mio. Führungszeugnissen pro Jahr – allein das für Papiersendungen notwendige Briefporto kostet hier etliche Millionen Euro.
- Staatliche Zeugnisse über Berufsausbildung und Hochschulabschlüsse – hier wäre ein sehr positiver Nebeneffekt, dass falsche Ärzte und falsche Professoren nicht mehr so leichtes Spiel in Deutschland hätten wie im gegenwärtigen Papierregime.
Fazit – was wäre zu tun?
Die Lösung für die deutsche e-Government-Malaise wäre einfach. Dazu gehört:
- Nachdigitalisierung der Urkundenbestände – dies kann auch schrittweise, Stadt für Stadt erfolgen.
- Aufbau einer zentralen elektronischen Urkundensammlung.
- Schaffung einer flächendeckenden Behörden-PKI, damit eine Behörde in Deutschland 26 Jahre nach der Signaturrichtlinie endlich digital signieren bzw. siegeln kann.
Durch diese Maßnahmen lässt sich Verwaltungspersonal in Größenordnungen einsparen.