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Jan-Lars Bey (Cassini) im Partner-Interview zum ZuKo-THINKTANK

Zukunftskongress-THINKTANK am 30.08.2022

Das berühmte Wimmelbild der Verantwortlichkeiten im föderalen Kontext sollte der Vergangenheit angehören, altes Silodenken überwunden und ressort- und behördenübergreifende Zusammenarbeit der neue Standard werden. Dafür war das Ziel, neue Antworten in Fragen der Steuerung und Regelung der Verwaltungsdigitalisierung zu finden. Doch wo stehen wir heute knapp ein Jahr nach der Wahl? Worin bestehen die zentralen Herausforderungen auf dem Weg zur Staatsmodernisierung und wie können wir diesen begegnen?

Direkt vor Beginn des Zuko-THINKTANK sprach die VdZ-Redaktion mit Jan-Lars Bey, Gesprächsleiter der Session GOVERNANCE.
Jan-Lars Bey (Cassini)
© Jan-Lars Bey | Cassini

Verwaltung der Zukunft: Sehr geehrter Herr Bey, können Sie sich und Ihre Rolle bei Cassini kurz beschreiben?

Bey: In letzter Zeit habe ich mir angewöhnt, von mir selbst als eGovernment-Urgestein zu sprechen. Seit über 20 Jahren begleite ich die Verwaltung bei ihrem Weg in die digitale Zukunft. Und bin immer noch jeden Tag mit Begeisterung bei der Sache.

Als Market Lead verantworte ich unsere Aktivitäten im Public Sector und darf tagtäglich mit einem hochmotivierten Team leidenschaftlicher Verwaltungsdigitalisierer*innen den Wandel der öffentlichen Verwaltung zur Verwaltung der Zukunft begleiten.

VdZ: Mit welchen Zielen geht Cassini in die Gespräche?

Bey: Grundsätzlich freuen wir uns auf den Austausch und das Netzwerken mit Entscheider*innen der Verwaltungsdigitalisierung. Die besondere Atmosphäre des „kleinen“ Zukunftskongresses fördert die Intensität und Qualität der Gespräche enorm. Wir erhoffen uns wieder wertvolle Impulse für unser tägliches Wirken und neue Denkansätze für unser Team.

Mit dem Thinktank zur Governance der Verwaltungsdigitalisierung, unserem Cassini-Format, möchte ich einen spannenden, partizipativen Diskurs zu den Herausforderungen und Ursachen bieten. Dazu bringen wir Persönlichkeiten mit verschiedensten Perspektiven zusammen. Wenn wir am Ende konkrete Ansätze zur Ausgestaltung einer zielgerichteten gesamthaften, also alle föderalen Ebenen einbindende Governance formuliert haben, können wir von einem gelungen Thinktank sprechen. Und es beweist, dass ein offener Denkraum auch in großer und offener Runde hervorragend funktioniert.

VdZ: Thema Governance: Ist der föderale Gedanke und die Silostruktur Haupthindernis in der aktuellen Herausforderung der Staatsmodernisierung?

Bey: Ich glaube nicht, dass der föderale Gedanke das Haupthindernis ist. Vielmehr gewinne ich zunehmend den Eindruck, dass man sich gerne hinter dem Föderalismus versteckt und ein unkoordiniertes, uneinheitliches Agieren quasi als Naturgesetz artikuliert. Die Diskussion erinnert mich an die um das Vergaberecht. Dort heißt es auch, das Recht würde Innovation und vieles mehr verhindern. Dabei ist es hier wie beim Föderalismus gleich: Es sind die handelnden Personen, die die Entscheidungen treffen, nicht die Gesetze und Verordnungen. Nach meiner Kenntnis schreibt der Föderalismus nicht vor, zwingend unabhängig zu agieren, aber er ermöglicht ein eigenständiges Agieren von Bund, Ländern und Kommunen. Und diese Option ist zweifelsohne berechtigt und sinnvoll, aber halt nicht zwingend zu nutzen.

Gerade für das Gelingen der Digitalisierung müssen wir noch enger zusammenrücken als es bisher der Fall ist, uns noch stärker auf gemeinsame Standards und Vorgehensweisen einstimmen und unser Handeln konsequent daran ausrichten. Wenn wir auf die Vorteile dieser Notwendigkeit vertrauen, kann die Staatsmodernisierung ohne Anpassungen des Föderalismus gelingen. Es ist eine Angelegenheit des Wollens und weniger des Könnens.

Ein Fazit auf dem diesjährigen Zukunftskongress, warum es mit dem Portalverbund nicht so richtig geklappt hat, lautete verkürzt: „Wir sind nicht aus unserer Ecke gekommen“. Ich finde, das charakterisiert meine Einschätzung vortrefflich. Mit dem IT-Planungsrat, der FITKO oder dem OZG sind erste Grundlagen gelegt. Jetzt gilt es, diese konsequent zu nutzen und auszubauen.

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Ich glaube nicht, dass der föderale Gedanke das Haupthindernis ist. Vielmehr gewinne ich zunehmend den Eindruck, dass man sich gerne hinter dem Föderalismus versteckt.

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VdZ: Was macht für Sie den ZuKo-ThinkTank aus?

Bey: Im Vergleich zu anderen Veranstaltungen ist für mich insbesondere die überschaubare Zahl an Teilnehmenden spannend. Gepaart mit einem zentralen Diskussionsstrang führt dies zu einer sehr vertrauensvollen Gesprächsatmosphäre. Die Gespräche verlaufen so tiefgreifender und erkenntnisreicher. Das schärft unser Verständnis für die Themen und Perspektiven des Verwaltungshandelns.

Besonders gespannt bin ich in diesem Jahr auf das neuartige Gesprächsformat – weg von der klassischen Podiumsdiskussion mit einigen wenigen, wenn auch prominenten und relevanten Redebeiträgen hin zu einem offenen Diskurs im Kreis der Teilnehmenden. Wir haben uns im Vorfeld „unseres“ Thinktanks vielen Gedanken gemacht, wie wir den Ansatz für alle Beteiligte gewinnbringend gestalten können. Nun sind wir sehr gespannt wie unser Konzept aufgehen wird. Wir sind aber nach den Vorbereitungsgesprächen guter Dinge, dass es gelingen wird.

VdZ: Warum wird die Digitalisierung gelingen?

Bey: Es gibt keine Alternative, sie muss gelingen. Wenn die Digitalisierung im Sinne der Gesellschaft weiter ausbleibt, wird das zunehmend als Staatsversagen wahrgenommen, da sonst die Schere zwischen öffentlichen und privaten Angeboten hinsichtlich Qualität und Anspruch immer weiter auseinandergeht. Die Distanz zum Staat wird zunehmen und die Akzeptanz seiner Organe wird in Konsequenz schwinden und das ist ein Effekt, den wir in den aktuellen krisenbehafteten Zeiten dringend vermeiden müssen.

Ich bin positiv gestimmt, dass sich diese Erkenntnis immer weiter durchsetzen und zu einer Konzentration der Digitalisierungsaktivitäten führen wird. Wenn es gelingt, Leuchttürme im Alltag der Gesellschaft zu etablieren, wird man sich mit dem Thema auch in der Politik positionieren können, was in Summe zu einer weiteren Beschleunigung der Digitalisierung führen wird.

VdZ: Gretchenfrage: Wenn Sie alles auf Bundesebene in der Hand hätten, alle strategischen Entscheidungen treffen könnten: Was würden Sie selbst tun?

Bey: Ich würde die Strategieentwicklung sehr forcieren, die Fäden zusammenführen und ein klares Zielbild der Verwaltungsdigitalisierung vorgeben, um allgemeinverbindlich und richtungsweisend Orientierung zu schaffen.

Darüber hinaus würde ich stark in Bereitstellung von Standards für die Verwaltungsdigitalisierung investieren, die Idee von SAGA wieder aufleben lassen und konsequent weiterentwickeln und dabei deutlich weniger Spielräume lassen. Das schafft einen verlässlichen Handlungsrahmen und in Konsequenz ganz neue Möglichkeiten der Nachnutzung.

Auch würde ich die Innovationsbereitschaft externer Akteure anregen. Wir sprechen viel über die Förderung und Integration von Start-ups in die öffentliche Verwaltung und versprechen uns davon einen Innovationsschub. Aber wenn wir ehrlich sind, entsteht Innovation anders. Meist entsteht sie spontan, jemand hat eine Idee und fängt an. Hierfür müssen wir ein Ökosystem aufbauen, das Innovation einfach und unkompliziert aufgreift und in die öffentliche Verwaltung hineinträgt. Klare Vorgaben, wie ich mich mit meinen Ideen und Lösungen in die Gesamtarchitektur einbetten kann, ist für die Schaffung eines solchen Ökosystems enorm förderlich.

Und vor allem würde ich den Modernisierer*innen, den Innovator*innen, den Macher*innen in der öffentlichen Verwaltung Freiräume geben, sie miteinander vernetzen und sie mit weitreichenden Entscheidungsbefugnissen bei der Schaffung digitaler Lösungen ausstatten. Die gerade skizzierten Vorgaben verhindern dann ein Auseinanderdriften von Ansätzen und Lösungen. Neben der Entlastung dieses Personenkreises von ihren täglichen Aufgaben müssen auch die Entscheidungsprozesse entschlackt und in die Hände einiger weniger gegeben werden, zumindest so lange der erforderliche Wille zum gemeinsamen Handeln stark ausgeprägt ist.

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Aber wenn wir ehrlich sind, entsteht Innovation anders. Meist entsteht sie spontan, jemand hat eine Idee und fängt an. Hierfür müssen wir ein Ökosystem aufbauen, das Innovation einfach und unkompliziert aufgreift und in die öffentliche Verwaltung hineinträgt.

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