Bundessozialgericht
© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

Lösungen auf Augenhöhe

Dem Sozialstaat mehr Sichtbarkeit verleihen: Dr. Christine Fuchsloch im Interview

Wie sieht der Sozialstaat der Zukunft aus? Im Vorfeld des 4. ZuKo Sozialversicherungen spricht Dr. Christine Fuchsloch, Präsidentin des Bundessozialgerichts, im VdZ-Interview über die Entwicklungen in der Sozialgerichtsbarkeit, ihre zentralen Aufgaben, Schwerpunkte und ihre Sicht auf die notwendigen Reformen im Sozialrecht.
Dr. Christine Fuchsloch ist seit März 2024 Präsidentin des Bundessozialgerichts. Ihre richterliche Laufbahn begann 1993 am Sozialgericht Hamburg, es folgten Tätigkeiten am Bundesverfassungsgericht, am Sozialgericht Berlin und am Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, bevor sie Präsidentin des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts wurde.
Zudem war sie ehrenamtlich Verfassungsrichterin des Landes Brandenburg und Vizepräsidentin des Schleswig-Holsteinischen Landesverfassungsgerichts.
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Verwaltung der Zukunft: Sie sind seit März 2024 Präsidentin des Bundessozialgerichts – als erste Frau in diesem Amt. Welche Ziele und Prioritäten haben Sie sich zu Beginn Ihrer Amtszeit gesetzt?

Dr. Christine FuchslochGenerell habe ich mir vorgenommen, dem Sozialstaat und dem Sozialrecht mehr Sichtbarkeit zu verleihen. Bürgerinnen und Bürger sollen die Sozialgerichtsbarkeit als unabhängige Instanz erleben, die sicherstellt, dass sie sich nicht als Objekt von Verwaltungshandeln erleben, sondern eigene Ansprüche effektiv durchsetzen können.

Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Zusammenarbeit im Gericht und mit allen Instanzen der Sozialgerichtsbarkeit. Für einen funktionierenden Rechtsschutz braucht es ein starkes Team – nicht nur Richterinnen und Richter, sondern alle Mitarbeitenden tragen entscheidend dazu bei, dass unsere Arbeit gelingt.

VdZWelche Erfahrungen aus Ihren bisherigen beruflichen Stationen beeinflussen Ihre heutige Arbeit besonders?

FuchslochSeit 1993 arbeite ich als Sozialrichterin – in unterschiedlichen Funktionen, Hierarchieebenen und sozialrechtlichen Rechtsgebieten. Besonders prägend waren auch meine Ehrenämter an den Landesverfassungsgerichten in Schleswig-Holstein und Brandenburg. Die Zusammenarbeit mit ganz unterschiedlichen Menschen hat mir gezeigt, wie wertvoll es ist, gemeinsam auf Augenhöhe Lösungen zu entwickeln und dabei verschiedene Perspektiven einzubeziehen.

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Die Zusammenarbeit mit ganz unterschiedlichen Menschen hat mir gezeigt, wie wertvoll es ist, gemeinsam auf Augenhöhe Lösungen zu entwickeln und dabei verschiedene Perspektiven einzubeziehen.

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VdZIn welchen Bereichen des Sozialrechts sehen Sie derzeit den größten Reformbedarf?

FuchslochDer demografische Wandel stellt uns besonders in der Pflegeversicherung vor große Herausforderungen. Schon bald werden sowohl Beitragszahlende als auch Pflegekräfte fehlen. Deshalb ist es aus meiner Sicht entscheidend, pflegende Angehörige stärker zu unterstützen – durch gezielte Angebote und finanzielle Entlastungen. Das halte ich für wichtiger als eine Reduzierung der Eigenanteile in der stationären Pflege.

Auch im Bereich der Digitalisierung und Verwaltungsorganisation besteht Nachholbedarf. Standardisierte IT-Strukturen und ein effizienter Datenaustausch sind noch nicht ausreichend vorhanden.

VdZWelche Impulse erhoffen Sie sich von der von Bärbel Bas eingesetzten Sozialstaatskommission? Wird das Bundessozialgericht in deren Arbeit einbezogen?

FuchslochIch erwarte von der Sozialstaatskommission wertvolle Impulse für die Weiterentwicklung des Sozialstaats – etwa durch Vorschläge zur Vereinfachung, zur besseren Verzahnung von Leistungen und Systemen oder zur IT-Standardisierung. Die gesteckten Ziele sind angesichts des engen Zeitrahmens allerdings durchaus ambitioniert. Neben mir sind zwei weitere Richter des Bundessozialgerichts als Sachverständige von der Sozialstaatskommission angehört worden.

VdZVor dem Hintergrund zunehmender Digitalisierung, komplexerer Verfahren und des demografischen Wandels: Wie verändern sich Kompetenzen und Rollenbilder in der Justiz?

FuchslochDie Digitalisierung verändert Abläufe und Arbeitsweisen – aber die Richterinnen und Richter stehen mit ihrer Person für den Rechtsstaat ein. Rechtsprechung ist mehr als Algorithmen und Chatbots. Gerade im Sozialrecht ist die persönliche Kommunikation unverzichtbar. Klägerinnen und Kläger müssen die gerichtlichen Entscheidungen verstehen können. Deshalb tragen Richterinnen und Richter auch in einer digitalisierten Justiz weiterhin die Verantwortung, Entscheidungen nachvollziehbar zu vermitteln und so Vertrauen in den sozialen Rechtsstaat zu erhalten.

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Rechtsprechung ist mehr als Algorithmen und Chatbots. Gerade im Sozialrecht ist die persönliche Kommunikation unverzichtbar.

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VdZSie haben zum Verbot der mittelbaren Geschlechtsdiskriminierung promoviert. Inwiefern prägt dieses Thema Ihre Sicht auf das Sozialrecht und Ihre Arbeit als Präsidentin des Bundessozialgerichts?

FuchslochIch bin dankbar, dass es in Deutschland selbstverständlich geworden ist, dass Frauen – auch Mütter – verantwortungsvolle Führungspositionen in der Justiz übernehmen können. Besonders freut mich die große Zahl junger, engagierter Richterinnen, die ihren Beruf mit Überzeugung ausüben. Das ausgewogene Verhältnis von Richterinnen und Richtern am Bundessozialgericht zeigt, dass Gleichberechtigung hier gelebte Realität ist.

VdZWenn Sie in einigen Jahren auf Ihre Amtszeit zurückblicken – was wäre für Sie persönlich der größte Erfolg?

Fuchsloch: Das sollen andere beurteilen!


 

Dr. Christine Fuchsloch beim 4. ZuKo Sozialversicherungen

  • Vorabendevent im kleineren Kreis am 25. November 2025, 18:30-19:45 Uhr

Der Sozialstaat vor der Neuordnung? Reformen im steuerfinanzierten System und systemische Folgen

  • Eröffnungsplenum I.I am 26. November 2025, 08:30-09:45 Uhr

Sozialstaat der (nahen) Zukunft – Was muss bleiben? Was muss sich aber auch ändern?