Darf er das? Ja, das darf er!
War es von ihm klug, eine solche Rede zu halten? Darüber kann man streiten!
Indes: In den Artikeln 54 bis 61 GG steht davon kein Wort! Gemäß Artikel 55 GG ist der Bundespräsident weder Teil einer Bundesregierung, noch darf er dem Bundestag oder einem Landesparlament angehören. Der Bundespräsident ist ein eigenständiges Verfassungsorgan mit einem eigenen politischen Bewegungsspielraum. Nein, er ist kein politisches Neutrum. Er soll das Land repräsentieren, über Gräben Brücken bauen, zusammenführen, integrieren.
Aber darf er auch vor dem Erstarken politischer Extreme warnen und in diesem Kontext auch vor Parteien, die seiner Überzeugung nach eine Gefährdung für die Demokratie sind? Natürlich ohne „Ross und Reiter“ zu nennen. Aber so, dass jeder versteht, welche Partei er meint. Im Klartext: Die AfD. Ja, das darf er. Aber war die Art und Weise klug, wie er das getan hat? Das ist eine andere Frage!
Frank-Walter Steinmeier selber würde vermutlich nicht bestreiten, dass seine Reden bislang nicht auf großen Widerhall gestoßen sind, selten folgte seinen Worten eine große öffentliche Debatte, kaum ein Satz oder nur irgendeine Formulierung haben sich im kollektiven Gedächtnis fest verankert. Und was ist mit seiner berühmten „Ruck-Rede“? Die hatte Bundespräsident Roman Herzog gehalten ( †10.1.2017) und zwar schon am 26. April 1997 – vor über 28 Jahren!
Eine wirklich beachtliche Rede hielt unser Bundespräsident allerdings am 9. November 2025, am Jahrestag der nationalsozialistischen Reichspogromnacht 1938 und dem Fall der Berliner Mauer 1989.
Beachtlich deshalb, weil die Reaktionen ganz unterschiedlich waren. Sie schwankten tagelang zwischen Begeisterung und „skandalös“, wobei sich die jeweiligen Protagonisten „natürlich“ jeweils die Passagen heraussuchten, die ihre Haltung untermauerten. Dieses „Aus-dem-Zusammenhang-reißen“ ist ja mittlerweile Volkssport, siehe BBC-Skandal. Wie man sich über Sätze wie „Mit Extremisten darf es keine politische Zusammenarbeit geben. Nicht in der Regierung, nicht in den Parlamenten.“ aufregen kann, ist für mich ein Mysterium, jedenfalls wenn man Extremismus nicht nur Rechtsaußen verortet, sondern auch Linksaußen.
Schwierig wird es allerdings, wenn im gleichen Atemzug das Thema Parteienverbot angesprochen wird, denn dies geschieht in 100 von 100 Fällen nur im Kontext zur AfD. Also wurde die Rede von vielen so verstanden, dass der Bundespräsident ein Parteiverbot befürwortet – und genau hier fangen die Probleme an!
Es gibt in Deutschland nur eine einzige Instanz, die über ein solches Verbot entscheiden kann, das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Der Bundespräsident ist noch nicht einmal antragsberechtigt. Falsch wäre es auch den Eindruck zu erwecken, als müsse einem Verbotsantrag fast zwangsläufig ein Verbot folgen. Das hat im Fall NPD schon zwei Mal nicht geklappt. Daran würde sich auch nichts ändern, wenn höchstrichterlich festgestellt würde, dass die AfD in Gänze als gesichert rechtsextremistisch eingestuft werden könne. Das alleine würde ein Parteiverbot nicht rechtfertigen.
Vor diesem Hintergrund wäre es ratsam gewesen, wenn sich der Bundespräsident auch mit der Frage beschäftigt hätte, wie denn die Lage wäre, wenn ein Antrag keinen Erfolg hätte. Könnte die AfD dann nicht stolz verkünden: „Vom BVerfG geprüft und nicht verboten!“ Und würden die antragstellenden Parteien nicht den Eindruck hinterlassen: „Politisch werden wir mit der AfD nicht fertig, dafür muss jetzt Karlsruhe sorgen!“
Aber war die Rede deshalb ein „Skandal“? Nein, das war sie nicht. Zumal die Passage nicht „Jeden Anlass zu nutzen, unliebsame Äußerungen pauschal als rechtsextrem zu diskreditieren;“ von der Kritik gerne überhört wurde.
Zurück zum Anfang: Doch, gelegentlich findet eine Abstimmung der Rede(n) des Bundespräsidenten mit der Bundesregierung tatsächlich statt, aber nicht, weil die Verfassung das vorschreibt. Der Grund liegt darin, dass insbesondere in außenpolitischen Fragen Deutschland eine einheitliche Position vertreten sollte. Das ist guter Brauch und daran sollte man auch festhalten.
Der Autor, Wolfgang Bosbach, ist Kongresspräsident des Berliner Kongresses für Wehrhafte Demokratie. Von 1994 bis 2017 war er Mitglied des Deutschen Bundestages und dort unter anderem von 2000 bis 2009 stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für den Bereich Innen- und Rechtspolitik und von 2009 bis 2015 Vorsitzender des parlamentarischen Innenausschusses.
Der 8. Berliner Kongress Wehrhafte Demokratie - Gesellschaftlicher Dialog für Innere Sicherheit, Verteidigungsfähigkeit und Zusammenhalt findet vom 29. bis 30. Juni 2026 im Hotel de Rome in Berlin statt.