Bosbach/ Wegweiser

Der Konflikt im Nahen Osten – und der Innere Frieden hier bei uns

Eine wehrhafte Demokratie darf nicht kapitulieren!

Hohe Wellen schlug die Erklärung des Bundeskanzlers anlässlich der Entscheidung des israelischen Sicherheitskabinettes vom 8. August 2025. Auf drei DIN A4-Seiten wurden die Hintergründe dieser Entscheidung ausführlich erläutert. Die entscheidenden Passagen hier im genauen Wortlaut.
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Anlasse der Erklärung war die Entscheidung des israelischen Sicherheitskabinetts vom 7. August, die Militäroffensive im Gazastreifen beträchtlich auszuweiten und eine Belagerung von Gaza-Stadt einzuleiten. Diese Entscheidung besorgt die Bundesregierung sehr. Sie birgt erhebliche Risiken für die Sicherheit der Geiseln, die von der Hamas festgehalten werden, darunter auch weiterhin Deutsche Staatsangehörige. Sie droht die bereits katastrophale Lage im Gazastreifen weiterhin zu verschärfen. [...] Unter diesen Umständen genehmigt die Bundesregierung bis auf Weiteres keine Ausfuhren von Rüstungsgütern, die im Gazastreifen zum Einsatz kommen können.

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Diese Entscheidung stieß sowohl auf harsche Kritik – auch aus den eigenen Reihen des Kanzlers – als auch auf Zustimmung. Auch wenn ich persönlich diese Entscheidung nicht getroffen hätte, ich gestehe gerne zu, dass es auch gute Argumente dafür gibt. Politik ist halt keine Mathematik. Es gibt nicht nur eine Lösung, die entweder richtig oder falsch sein kann. Politik ist das ständige Abwägen unterschiedlicher Meinungen, Argumente und verschiedener Interessen. Wer nicht nur schwafelt, sondern auch entscheidet, läuft halt Gefahr, dass es sowohl Zustimmung als auch Kritik gibt. 

Militärisch-praktisch wurde diese Entscheidung wohl ÜBERschätzt – denn Deutschland hat auch bislang keine militärischen Mittel geliefert, die im Gazastreifen zum Einsatz kommen könnten. Politisch wurde die Tragweite der Entscheidung vermutlich UNTERschätzt, schließlich waren es nicht wenige, die sich nicht zu Unrecht gefragt haben, ob Deutschland nicht mehr so zuverlässig an der Seite Israels steht, wie fest zugesagt. 

Gerade atemberaubend ist allerdings folgender Satz, aus der gleichen Erklärung:  

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Diese Eskalation trägt auch zur Verschärfung gesellschaftlicher Konflikte in Deutschland und Europa bei, die wir auch im Sinne unserer Verpflichtung gegenüber dem Staat Israel vermeiden müssen.

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Wie bitte? Wer trägt denn seit Monaten zur „Verschärfung gesellschaftlicher Konflikte“ (auch) in Deutschland bei? Die Jüdische Gemeinschaft, die mitten unter uns lebenden Jüdinnen und Juden ganz gewiss nicht! Ganz im Gegenteil! Sie leiden am meisten unter dem hier offen ausgelebtem Hass gegen jüdisches Leben. Nie wieder? Nie wieder wäre jetzt! Nie wieder sollte man seine Kippa verstecken müssen, um nicht von antijüdischem Pöbel angegriffen zu werden. Seit dem Angriff der Hamas auf Israel vom 7. Oktober 2023 ist die Zahl der antisemitischen Straftaten spürbar gestiegen. Sie hat sich gegenüber 2020 fast verdreifacht! 

Wer die Politik Israels kritisieren will, der mag das tun. Im Gegensatz zu allen Nachbarländern handelt es sich bei Israel um eine funktionierende Demokratie und viele Entscheidungen der israelischen Regierung sind ja auch Gegenstand heftiger innenpolitischer Kontroversen in Israel selbst. 

Aber was hat das mit den bei uns lebenden Jüdinnen und Juden zu tun? Mit ihrem ganz alltäglichen Leben? Schlimm genug, dass wir auch heute noch, 80 Jahre nach dem Ende des 2. Weltkrieges und der Schreckensherrschaft der Nazis, Synagogen und andere jüdischen Einrichtungen 24/7 bewachen müssen – und jetzt noch intensiver als zuvor! 

Wollen wir ernsthaft denen entgegenkommen, die für die „Verschärfung gesellschaftlicher Konflikte“ verantwortlich sind? Sollten wir uns nicht stattdessen vor die Angegriffenen stellen? Nie wieder ist nicht irgendwann. Nie wieder ist jetzt. 


 

Der Autor, Wolfgang Bosbach, ist Kongresspräsident des Berliner Kongresses für Wehrhafte Demokratie. Von 1994 bis 2017 war er Mitglied des Deutschen Bundestages und dort unter anderem von 2000 bis 2009 stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für den Bereich Innen- und Rechtspolitik und von 2009 bis 2015 Vorsitzender des parlamentarischen Innenausschusses.

Der 8. Berliner Kongress Wehrhafte Demokratie - Gesellschaftlicher Dialog für Innere Sicherheit, Verteidigungsfähigkeit und Zusammenhalt findet vom 29. bis 30. Juni 2026 im Hotel de Rome in Berlin statt.