„Passen Sie auf, was Sie posten!“
Demokratie verteidigen ist wichtig und richtig – aber SO klappt das nicht.
Hä? Wer entscheidet denn nach welchen Maßstäben darüber, ob jemand „umstritten" ist oder nicht? Ist mit dem Begriff „umstritten“ gemeint, dass seine Positionen, Themen und Thesen auch kritisiert werden? Echt jetzt? Dann dürften alle Politikerinnen und Politiker zukünftig mit dem Adjektiv „umstritten“ versehen werden – denn wer geht schon kritikfrei durch die politische Landschaft?
Hier dürfte etwas anderes gemeint sein, denn Prof. Bolz ist kein „Linker“. Wohl daher „umstritten“. Dieses Schicksal teilt er mit anderen Wissenschaftlern, wie z.B. Prof. Werner Josef Patzelt, wie Bolz Jahrgang 1953, bis 2019 Inhaber des Lehrstuhls für Politische Systeme und Systemvergleich an der TU Dresden. Er forschte mit anderen zur Pegida-Bewegung in Dresden – was viele unerhört fanden. Und dann fing der Ärger an. Seitdem ist Herr Patzelt „umstritten“. Anders als bspw. Heidi Reichinnek, deren Namen meines Wissens nach noch nie mit „umstritten“ umrahmt wurde. Wie dem auch sei: Am 23. Oktober 2025 fand bei Prof. Bolz eine polizeiliche Hausdurchsuchung statt, er soll im Januar 2024 (!) in seinem Post auf X eine verfassungsfeindliche Parole verwendet haben. Der guten Ordnung halber sei darauf hingewiesen, dass eine klassische „Durchsuchung“ gar nicht erfolgen musste, da der Beschuldigte den Beamten sofort den Zugang zu seinem X-Account gewährte.
Hätte man Prof. Bolz schlicht gefragt, ob der strittige Post von ihm persönlich stamme, er hätte mit Sicherheit „Ja“ gesagt, warum auch nicht? Denn: Der Post des „umstrittenen“ em. Professors war erkennbar (!) eine satirisch gemeinte Reaktion auf einen vorherigen Post der taz, denn von dort kam der Post „AfD-Verbot und Höcke-Petition: Deutschland erwacht!“ Strafanzeige? Nö. Irgendwelche öffentliche Aufregung? Nö. Ist die taz seitdem „umstritten“? Nö.
Noch doller: Die ehemalige Staatsministerin Claudia Roth förderte mit Bundesmitteln 2023 eine Komposition des Pianisten Martin Schmalz mit dem Titel „Deutschland erwache!“. Skandal? Nö. Strafanzeige? Nö. Hausdurchsuchungen bei Frau Roth und Herrn Schmalz? Nö. Wollten die taz und die beiden Heroen des Kulturbetriebs Nazi-Propaganda popularisieren? Ganz bestimmt nicht!
Lassen wir die Frage, ob die „Hausdurchsuchung“ bei Prof. Bolz überhaupt verhältnismäßig war (unnötig war sie ganz gewiss), einmal beiseite: Die Befürworter der Aktion beriefen sich auf § 86 StGB – die Rechtsordnung gebiete halt entschiedenes Vorgehen gegen jede Form der Verbreitung nationalsozialistischer Propaganda. Zwar konnte niemand so richtig erklären, warum in der Causa Bolz ganz andere Maßstäbe gelten sollen als bei der taz oder einem Pianisten, vielleicht weil beide nicht als „umstritten“ gelten.
Interessanter ist, dass der Absatz 4 des § 86 StGB komplett ausgeblendet wurde, Satire fällt unzweifelhaft darunter. Kein Wunder, dass sich selbst die taz gewundert hat, dass Prof. Bolz plötzlich im Visier der Polizei war. Offensichtlich wollte der Gesetzgeber das, was Prof. Bolz widerfahren ist, ausdrücklich vermeiden.
„Passen Sie auf, was Sie posten!“ lautete der Abschiedsgruß der Polizei an den Beschuldigten Bolz.
Deutschland 2025.
Der Autor, Wolfgang Bosbach, ist Kongresspräsident des Berliner Kongresses für Wehrhafte Demokratie. Von 1994 bis 2017 war er Mitglied des Deutschen Bundestages und dort unter anderem von 2000 bis 2009 stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für den Bereich Innen- und Rechtspolitik und von 2009 bis 2015 Vorsitzender des parlamentarischen Innenausschusses.
Der 8. Berliner Kongress Wehrhafte Demokratie - Gesellschaftlicher Dialog für Innere Sicherheit, Verteidigungsfähigkeit und Zusammenhalt findet vom 29. bis 30. Juni 2026 im Hotel de Rome in Berlin statt.