Vergabe
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Direktaufträge im Fokus

Mehr Freiraum, mehr Verantwortung – und wie Digitalisierung unterstützt

Die Diskussion um Direktaufträge in Deutschland gewinnt zunehmend an Dynamik, befeuert durch neue Wertgrenzen, die in vielen Bundesländern deutlich angehoben wurden. Während Kommunen dadurch mehr Freiraum erhalten, wächst zugleich die Verantwortung, Beschaffungen rechtssicher und transparent zu gestalten. Ein Bereich, in dem digitale Lösungen entscheidend unterstützen können.

In den vergangenen Monaten hat sich die Diskussion um die Wertgrenzen für Direktaufträge in Deutschland spürbar intensiviert. Zahlreiche Bundesländer haben die Schwellen für die Vergabe von Aufträgen ohne förmliches Verfahren deutlich angehoben. Bayern, Baden-Württemberg, Brandenburg und zuletzt auch das Saarland haben Direktaufträge bis zu 100.000 Euro ermöglicht. Niedersachsen liegt aktuell bei 20.000 Euro, während Rheinland-Pfalz 10.000 Euro vorgibt und Mecklenburg-Vorpommern sogar nur 5.000 Euro zulässt. Nordrhein-Westfalen setzt die Unterschwelle im Kommunalbereich faktisch außer Kraft (§ 75a Gemeindeordnung) und überlässt die jeweiligen Beschaffungsrichtlinien der Eigengestaltung durch die Kommunen.

Auf Bundesebene wird die Debatte besonders im Bereich der Verteidigungsbeschaffung geführt. Angesichts der sicherheitspolitischen Lage und des steigenden Bedarfs an schneller Handlungsfähigkeit hat die Bundesregierung 2025 einen Gesetzentwurf vorgelegt, um Direktaufträge im Verteidigungsbereich deutlich auszuweiten. Vorgesehen ist, die Grenze für allgemeine Liefer- und Dienstleistungen auf 50.000 Euro und für Verteidigungsgüter auf 443.000 Euro anzugeben. Für Bauleistungen soll auf 1 Million Euro angehoben werden. Ziel ist es, Verfahren massiv zu beschleunigen und die Bundeswehr handlungsfähiger zu machen.

Doch die Realität zeigt, dass die Erleichterung an einer Stelle neue Unsicherheit an anderer Stelle schafft. Der Flickenteppich der Bundesländer, die Vielfalt der Ausnahmen und die Frage nach der rechtssicheren Umsetzung haben bei vielen öffentlichen Auftraggebern Zweifel ausgelöst.

Mehr Handlungsspielraum – aber auch mehr Verantwortung

„Die neuen Grenzwerte klingen auf den ersten Blick nach Entlastung“, erklärt Dieter Jagodzinska, Vergabeexperte bei Mercell Deutschland. „Aber sie stellen viele Kommunen auch vor die Frage: Wie dokumentiere ich meine Entscheidungen rechtssicher, wenn ich kein strukturiertes Verfahren durchführen muss?“

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„Aber sie stellen viele Kommunen auch vor die Frage: Wie dokumentiere ich meine Entscheidungen rechtssicher, wenn ich kein strukturiertes Verfahren durchführen muss?“

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Die rechtlichen Grundprinzipien bleiben unverändert: Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit und ein Wechsel zwischen Auftragnehmern sind weiterhin einzuhalten. Doch während bisher klare Verfahrensarten wie die Verhandlungsvergabe oder die öffentliche Ausschreibung den Rahmen vorgaben, müssen Kommunen nun selbst entscheiden, wie sie diese Grundsätze in der Praxis nachweisen. Für viele kleinere Städte und Gemeinden, in denen Beschaffung häufig neben anderen Aufgaben erledigt wird, bedeutet dies nicht weniger, sondern mehr Unsicherheit.

Konkrete Stolpersteine

Besonders deutlich wird die Herausforderung in drei Bereichen.

1) Dokumentation: Nach wie vor werden viele Aufträge über E-Mail, Telefon oder Fax abgewickelt. Dadurch entstehen verstreute Daten, die im Nachhinein nur schwer nachvollziehbar sind.

2) Prüfungssicherheit. Zuwendungsgeber und Rechnungsprüfer erwarten auch bei Direktaufträgen belastbare Nachweise. Wenn diese fehlen, geraten Verwaltungen schnell in eine rechtliche Grauzone.

3) Prinzip des Bieterwechsels. Zwar ist es gesetzlich verankert, doch gibt es keine Vorgaben, in welchem Rhythmus oder nach welchen Kriterien Auftraggeber tatsächlich wechseln müssen.

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Für kleinere Kommunen ist ein höherer Schwellenwert kein Vorteil, sondern vielmehr eine zusätzliche Quelle von Unsicherheit.

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Dieter Jagodzinska bringt es auf den Punkt: „In kleineren Kommunen ist die Beschaffung selten professionalisiert. Dort übernehmen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die eigentlich für Finanzen oder Kultur zuständig sind, zusätzlich Vergabeaufgaben. Für sie ist ein höherer Schwellenwert kein Vorteil, sondern vielmehr eine zusätzliche Quelle von Unsicherheit.“

Einblicke aus der Praxis

Wie sich diese Unsicherheit konkret äußert, schildert Jesko Bergmann, Head of Sales, Production and Operations der Musikkultur Rheinsberg. Seine Einrichtung, die landesgefördert ist, muss regelmäßig Dienstleistungen und Produkte für Kulturveranstaltungen beschaffen. „Ob Opernproduktion oder externe Dienstleistungen – wir müssen regelmäßig schnell und pragmatisch beschaffen. Früher bedeutete das: E-Mails sammeln, PDFs ablegen und Notizen machen. Heute erfassen wir alles digital und können jederzeit gegenüber Prüfern nachweisen, wie wir vorgegangen sind.“

Für Bergmann ist die digitale Dokumentation nicht nur eine Frage der Effizienz, sondern vor allem eine Frage des Vertrauens: „Die Sicherheit, jederzeit alle Schritte nachvollziehbar dokumentiert zu haben, ist für uns genauso wichtig wie die Zeitersparnis. Denn am Ende geht es nicht nur um Abläufe, sondern um das Vertrauen von Geldgebern, Prüfern und der Öffentlichkeit.“

Digitalisierung als Antwort

Gerade im Unterschwellenbereich kann die Digitalisierung entscheidend dazu beitragen, die neuen Freiräume in geordnete Bahnen zu lenken. Smarte Workflows ermöglichen es, Angebote strukturiert einzuholen, automatisch zu dokumentieren und jederzeit revisionssicher bereitzuhalten.

„Ein digitales System ersetzt das Suchen in überfüllten Postfächern oder das Zusammensuchen von Notizen“, so Jagodzinska. „Alle Schritte – von der Anfrage über die Angebotsabgabe bis zur Zuschlagserteilung (im Direktauftrag - Auftragserteilung) – sind zentral dokumentiert. Das reduziert Fehlerquellen und schafft Transparenz.“

Internationale Analysen, etwa von der OECD, zeigen, dass digitale Vergabeprozesse mehr Effizienz, Transparenz und Agilität schaffen – und damit die Bearbeitung von Verfahren spürbar beschleunigen und vereinfachen können. Gleichzeitig steigt die Qualität der Nachweise erheblich, weil alle Daten standardisiert erfasst werden.

Bergmann bestätigt diesen Eindruck aus der Praxis: „Digitale Workflows sparen uns nicht nur Zeit. Sie sorgen vor allem dafür, dass wir im Falle einer Prüfung sofort den kompletten Vorgang vorlegen können – ohne Lücken und ohne Mehraufwand.“

Europäischer Kontext

Deutschland steht mit den Anhebungen nicht allein da. Auch andere europäische Staaten haben in den vergangenen Jahren ihre Schwellenwerte für vereinfachte Verfahren erhöht. In Österreich gilt seit 2025 beispielsweise eine neue Schwellenwertverordnung, die Direktaufträge bis 143.000 Euro zulässt. Diese Entwicklungen zeigen, dass der Trend zur Vereinfachung europaweit zu beobachten ist – wenn auch unter unterschiedlichen rechtlichen Rahmenbedingungen.

Fazit: Strukturen statt Grauzonen

Die Erhöhung der Wertgrenzen schafft zweifellos mehr Handlungsspielraum. Doch sie ersetzt nicht die Pflicht zu klaren, transparenten und revisionssicheren Prozessen. Gerade kleinere Kommunen laufen Gefahr, in Grauzonen zu arbeiten, wenn sie die Dokumentation dem Zufall überlassen.

„Ein klar definierter Ablauf macht den Unterschied – egal ob bei 20.000 oder 100.000 Euro“, betont Dieter Jagodzinska. „Auftraggeber müssen jederzeit zeigen können, dass sie wirtschaftlich, sparsam und nachvollziehbar handeln.“

Jesko Bergmann zieht ein ähnliches Fazit: „Mehr Freiraum ist gut. Aber er muss mit klaren Strukturen gefüllt werden, damit er wirklich Entlastung bringt.“

Wie Mercell unterstützt

Zum Schluss macht Dieter Jagodzinska deutlich, wie Mercell hier helfen kann: „Wir sehen unsere Aufgabe darin, öffentliche Auftraggeber nicht nur technisch zu unterstützen, sondern sie auch bei der Umsetzung klarer Prozesse zu begleiten. Mit unseren Lösungen lassen sich Direktaufträge vollständig digital abbilden – von der Anfrage über den Angebotsvergleich bis zur Beauftragung mit Genehmigungsworkflows und revisionssicheren Dokumentation. Damit geben wir Auftraggebern die Sicherheit, die sie brauchen, um die neuen Freiräume tatsächlich nutzen zu können.“

So wird klar: Die Digitalisierung ist nicht nur ein Hilfsmittel, sondern die entscheidende Grundlage, damit der neue Freiraum im Unterschwellenbereich zu echter Entlastung wird – und nicht zur Quelle neuer Unsicherheit.

Einladung zur Beschaffungskonferenz in Berlin

Ein weiteres Beispiel dafür, wie Digitalisierung Beschaffung vereinfacht, stellen wir auf der diesjährigen Beschaffungskonferenz in Berlin vor. In einem Best-Practice-Dialog zeigen wir gemeinsam mit der JEN Jülicher Entsorgungsgesellschaft für Nuklearanlagen mbH, wie Beschaffung durch digitale Projekte vereinfacht werden kann. Im Mittelpunkt stehen strukturierte Prozesse, digitale Unterstützungstools und die faire Marktöffnung durch den gezielten Einsatz von Dynamischen Beschaffungssystemen (DBS).

Besuchen Sie uns in Berlin und erfahren Sie aus erster Hand, wie digitale Lösungen öffentliche Beschaffung nachhaltig verbessern können.

🗓️ 22.–23. September, Kongressbereich des Hotel de Rome
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