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CIO Sabine Smentek: „Wir haben Online-Verfahren in der Corona-Krise vereinfacht“

Die für Digitalisierung zuständige Staatssekretärin des Landes Berlin, Sabine Smentek, zum Stand der OZG-Umsetzung

Bis Ende 2022 soll das Onlinezugangsgesetz umgesetzt sein. Wie ist der Stand in Berlin? Wie geht es im Themenfeld Querschnittsleistungen voran? Und wie lässt sich die Akzeptanz von digitalen Bürgerservices erhöhen? Sabine Smentek, Staatssekretärin für Informations- und Kommunikationstechnik in der Senatsverwaltung für Inneres und Sport Berlin, gibt im Interview mit VdZ genaue Auskunft.

Verwaltung der Zukunft: Frau Smentek, es bleiben nur noch knapp zwei Jahre, dann soll das OZG umgesetzt sein. Ist das aus Ihrer Sicht zu schaffen?

Smentek: Der Umsetzungszeitraum ist ambitioniert gewählt. Dennoch haben wir in Berlin eine gute Ausgangslage, denn schon früh wurden elektronische Dienstleistungen der Verwaltung für die Wirtschaft entwickelt. Und zwar auf Grundlage der EU-Dienstleistungsrichtlinie und der Anforderung eines „einheitlichen Ansprechpartners“. Dieses Angebot kann jetzt als Grundlage für die OZG-Umsetzungsaktivitäten dienen.

Auch unsere Angebote für Bürgerinnen und Bürger bauen wir kontinuierlich aus. Schon heute können rund 120 Dienstleistungen digital in unserem Service-Portal Berlin abgerufen werden. Die Grundlage dafür sind unsere Basisdienste, die wir Verwaltungen und Behörden zur Verfügung stellen. Von der Antragsstellung über die Bearbeitung bis hin zur Entrichtung der Gebühren – alles kann digital abgewickelt werden. Alles in Allem können wir Lerneffekte aus den Umsetzungsprojekten nutzen, um Folgeprojekte zu beschleunigen.

Bundesweit ist es gelungen, sich auf einen gemeinsamen Kriterien-Katalog zu verständigen, der die Nachnutzbarkeit von digitalen Services garantiert. Ich halte das für einen guten Ansatz, der das föderale Zusammenwirken unterstützt. Hierdurch erwarte ich eine Beschleunigung der Umsetzungsprojekte.  Natürlich auch durch die Mittel des Bundes aus dem Konjunkturpaket.

VdZ: Berlin betreut gemeinsam mit den Ländern Brandenburg, Hamburg und Thüringen das Themenfeld der Querschnittsleistungen, also Verwaltungsdienstleistungen, die als Nachweise erforderlich sind. Wie ist der aktuelle Stand?

Smentek: Zu den Querschnittsleistungen gehört unter anderem auch die Realisierung der Basiskomponente Nachweisabruf, die das Fundament für das Once-Only-Prinzip legt. Die Nachweiserbringung wird für Bürgerinnen und Bürger und auch Unternehmen digital und medienbruchfrei. Die Arbeiten gehen gut voran.  Wir werden noch in diesem Jahr mit Partnern in den Berliner Behörden die Komponente testen. Unser Ziel ist es, noch in diesem Jahr mit der Komponente „live“ zu gehen.

Berlin koordiniert, unterstützt durch die ]init AG[ und beauftragt vom BMI, die Realisierungsaktivitäten. Die Basiskomponente führt exemplarisch Abfragen aus dem Melderegister, dem Geburten-/Personenstandsregister und dem Bundeszentralregister durch, stellt die Ergebnisse für Antragsverfahren bereit und ersetzt damit die Vorlage von verfahrensnotwendigen Nachweisen. Der Schwerpunkt liegt aktuell auf der Abfrage des Melderegisters für die OZG-Leistung Wohngeld.

Bei Registerabrufen handelt es sich immer um sensible Daten, so dass auf größte Sorgfalt bei der Durchführung und Umsetzung der Maßnahmen geachtet werden muss. Die Entwicklung der Basiskomponente muss zudem mit den Aktivitäten des Bundes zur Registermodernisierung harmonisiert werden.

VdZ: Was wird Berlin - in Bezug auf die Querschnittsleistungen - als Nächstes tun?

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Nach erfolgreicher Go-Live-Schaltung der Basiskomponente Nachweisabruf für das Melderegister wird das Angebot sukzessive mit dem Anschluss von weiteren Registern ausgebaut.

Parallel wird in Kooperation mit der Bundesdruckerei eine digitale Variante der Meldebescheinigung erarbeitet, die als Dokument für den elektronischen Rechtsverkehr dient, wenn ein Registerabruf nicht möglich oder nicht geboten ist. Die Entwicklung soll auch als Blaupause für weitere elektronische Dokumente dienen.

Zudem wird, gemeinsam mit dem BMI, die Arbeit am Umsetzungsprojekt zur Leistung „Personalausweis“ aufgenommen. Hier schließt die bisherige Rechtslage einen medienbruchfreien Vorgang aus.

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VdZ: Welches der bereits umgesetzten OZG-Projekte halten Sie für besonders gelungen und warum?

Smentek: Unser Basisdienst Digitaler Antrag hat sich als sehr hilfreiches Werkzeug erwiesen. Wir haben ein Vorgehen gewählt, dass die technischen und vor allem auch die organisatorischen Aktivitäten, die zur Umsetzung der Anträge notwendig sind, eng miteinander verzahnt. Das Land Berlin verfolgt mit dem Basisdienst Digitaler Antrag das Ziel, die Antragsdaten ohne zusätzliche Arbeitsschritte direkt an die Fachverfahren medienbruchfrei zu übermitteln.

So bieten die Berliner Denkmalbehörden durch die gemeinsame Zusammenarbeit seit letztem Frühjahr erstmals Digitale Anträge zum Denkmalschutz an. Besitzerinnen und Besitzer eines denkmalgeschützten Gebäudes können zum Beispiel bauliche Veränderungen online beantragen. Die Anträge werden ohne zusätzlichen Aufwand inklusive der notwendigen Unterlagen in das digitale Fachverfahren der Denkmalschutzbehörde übernommen. Somit wird die Antragsstellung vereinfacht und die Bearbeitung erleichtert und beschleunigt. Aktuell werden zahlreiche Antragsprozesse über den Basisdienst Digitaler Antrag umgesetzt und stehen den Bürgerinnen und Bürgern in Kürze zur Online-Abwicklung zur Verfügung.

VdZ: Das Einer-für-Alle-Prinzip und die Nachnutzung bereits entwickelter Lösungen sollen die OZG-Umsetzung erleichtern. Können Sie ein, zwei Beispiele nennen, wie diese Prinzipien speziell Berlin bei der OZG-Umsetzung bereits geholfen haben oder helfen werden?

Smentek: Ich halte das Einer-für-Alle/Viele-Prinzip (EfA/V-Prinzip) für ein wesentliches Element der erfolgreichen Umsetzung. Die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern und auch den Ländern untereinander gestaltete sich bisher etwas sperrig, wenn sie denn überhaupt erlaubt war. Wir sind dabei, diesen Zustand zu überwinden und bei der Digitalisierung eine übergreifende Zusammenarbeit zu etablieren. Dazu gehört aus meiner Sicht aber auch, dass man nicht nur seine eigenen Kreationen anbietet, sondern sich auch für die Übernahme „fremder“ Entwicklungen öffnet. Natürlich muss dies mit den Architekturvorgaben vereinbar sein.

Der bereits erwähnte EfA-Kriterienkatalog ist ein wichtiger Grundstein für den Erfolg. Hiermit besteht ein gemeinsames Verständnis darüber, was eine Leistung nachnutzbar machen kann. Prinzipiell können auch bestehende Produkte, zum Beispiel unser Basisdienst Digitaler Antrag, mittels des Katalogs nachnutzbar gestaltet und angeboten werden. Durch die Einführung einer Art Label oder Siegel könnte die zeitaufwändige Vorprüfung durch interessierte Länder unnötig werden. Werden OZG-Projekte in den Berliner Behörden gestartet, geht dies auch mit einer Prüfung einher, was gegebenenfalls als EfA-Leistung verfügbar ist.

Zu unserer OZG-Umsetzung gehört aber nicht nur das „Abhaken“ von Leistungen, sondern auch die Fortentwicklung des bestehenden Angebots. Wenn etwas Fortschritte im Bereich der Nutzungsfreundlichkeit oder Barrierefreiheit bietet, dann sehen wir uns das selbstverständlich an und prüfen, was wir praktikabel übernehmen oder beschaffen können. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Leistung BAföG. Das Land Berlin ist der „Koalition der Nutzungswilligen“ für die EfA-Leistung BAföG beigetreten. Zwar verfügt Berlin bereits seit einiger Zeit über einen eigenen Online-Antrag – die jetzt neu konzipierte Lösung bietet aber deutliche Vorteile für die Nutzenden. Das möchten wir natürlich weitergeben.

VdZ: Der Portalverbund ist das Kernstück des OZG. Wie weit ist Berlin, seine IT-Landschaft so zu konsolidieren, dass ab 2023 alle kommunalen Verwaltungsleistungen über den bundesweiten Portalverbund auffindbar und abwickelbar sind? 

Smentek: Berlin war bereits eines der Pilot-Länder beim Aufbau des Portalverbundes und leistet weiter seinen Beitrag in der länderübergreifenden Zusammenarbeit bei der Umsetzung des Online-Zugangsgesetzes und der Single Digital Gateway-Verordnung der EU.

Die Dienstleistungsdatenbank ist dafür unsere stetig wachsende Grundlage, die alle verzeichneten Verwaltungsleistungen Berlins für den Abruf über den Portalverbund bereitstellt. Unsere nächsten Schritte sind die Implementierung der Portalverbund-Suche in das Service-Portal Berlin und die weitere Anpassung der Datenbank-Struktur an die Anforderungen der Single Digital Gateway-Verordnung der EU.

VdZ: Wegen Corona hatte das Bundesland Bayern per Ausnahmeregelung erlaubt, dass Fahrzeughalter eine Online-Kfz-Zulassung ohne die vorgeschriebene Authentifizierung per eID, sondern lediglich mit Benutzername/Passwort vornehmen konnten - die Nutzerzahlen schnellten daraufhin in die Höhe. Was denken Sie: Sollte das Vertrauensniveau mancher Services vielleicht überdacht werden? Wenn ja: bei welchen?

Smentek: Wir in Berlin sind diesen Weg ebenfalls gegangen und haben das Online-Verfahren in der Corona-Krise vereinfacht. Private Kundinnen und Kunden können ihr Fahrzeug mit der Kopie ihres Personalausweises (als Scan) über ein Online-Formular an-, um- und abmelden oder auch ihre Anschrift ändern. Der elektronische Personalausweis wird nicht mehr benötigt. Das gilt noch bis zum 30.06.2021.

Natürlich müssen wir im Nachhinein in eine gründliche Evaluation gehen und prüfen, inwiefern die Vorteile der Vereinfachung gegenüber möglichen Nachteilen überwiegen. Wir haben die Gelegenheit, aus dieser speziellen Situation zu lernen. Es ist aber wichtig, dass wir die richtigen Schlüsse ziehen und Sicherheitsaspekte nicht aus den Augen verlieren.

Grundsätzlich gilt, dass die Festlegung des jeweiligen Vertrauensniveaus für die Online-Verfahren durch die jeweils fachlich zuständige Stelle erfolgt. Die Entscheidungsgrundlage hierfür bildet insbesondere das Fachrecht, in dem die Anforderungen zur Inanspruchnahme der Verwaltungsleistung definiert sind. So wird eine Verwaltungsleistung, die formlos beantragt werden kann, mit einem geringeren Vertrauensniveau abgebildet und damit digital „einfacher“ nutzbar sein, als eine Verwaltungsleistung, bei deren Beantragung es einer Unterschrift bedarf und damit unter Umständen die Online-Ausweisfunktion des Personalausweises eingesetzt werden muss. Wir müssen daher bei neuen und bestehenden gesetzlichen Vorgaben stets kritisch bewerten, welche Identifizierung und Authentifizierung hier wirklich notwendig ist und dies dann auch deutschlandweit identisch handhaben. Ein zentraler Ansatz bildet dabei das bereits etablierte und auch in Berlin erfolgreich angewandte Instrument des Normenscreenings, das gesetzliche Vorgabe auf ihre wirkliche Notwendigkeit kritisch hinterfragt. Zudem sind die Länder und der Bund intensiv dabei, im Rahmen der OZG-Umsetzung eine Einheitlichkeit bei der Anwendung der Vertrauensniveaus herbeizuführen, sodass identische digitale Verwaltungsleistungen auch stets dasselbe Vertrauensniveau abfragen. 

Screenshot Serviceportal Berlin
Die Angebote für Berlinerinnen und Berliner werden auf dem Service-Portal Berlin kontinuierlich ausgebaut. Etwa 120 Dienstleistungen lassen sich digital abrufen.

VdZ: Was könnte die Akzeptanz von digitalen Bürgerservices Ihrer Meinung nach erhöhen?

Smentek: Wir müssen die Bürgerinnen und Bürger davon überzeugen, dass wir der Zukunft gewachsen sind und effizient arbeiten. Im geplanten Datencockpit könnte der Schlüssel hierzu liegen, denn unsere dringlichste Aufgabe wird es sein, Transparenz und Vertrauen in die Datensicherheit zu schaffen, um so die Nutzung der digitalen Leistungen erfolgreich voranzutreiben.

Auch der „User-Experience“ muss der notwendige Stellenwert bei der Lösungssuche zugemessen werden. Dies ist mehr und mehr der Fall. Wir vergessen nicht, dass wir Dienstleistungen für Bürgerinnen, Bürger und Unternehmen anbieten.

Und diese Dienstleistungen müssen natürlich funktionieren! Und zwar nicht nur im einfachen Standardfall, sondern auch im speziellen Sonderfall. Niemand möchte sich an einem Online-Formular abarbeiten und dabei an ein „loses Ende“ gelangen, bei dem man dann doch um einen Papierantrag gebeten wird. Wir wollen darum möglichst durchdacht arbeiten und dafür die notwendige Zeit investieren.

VdZ: Die Corona-Pandemie hat gezeigt: Bürgerinnen und Bürger nutzen digitale Verwaltungsservices - wenn sie wissen, dass es sie gibt. Wie will Berlin seine neuen digitalen Bürgerservices bekannter machen? 

Smentek: Ich stimme Ihnen zu. Die intuitive Bedienung unserer Services ist eine wichtige Voraussetzung, aber mehr noch müssen wir das Wissen um unsere Dienstleistungen fördern. Das Service-Portal Berlin ist der zentrale Anlaufpunkt für die Berlinerinnen und Berliner, wenn es um die digitalen Dienstleistungen geht. Das Portal hatte im letzten Jahr über 17 Millionen Besuche. Jetzt verstärken wir noch unsere Kommunikation. Wir wollen den Bekanntheitsgrad steigern und den Bürgerinnen und Bürgern zeigen, wie vielfältig sie das Service-Portal für ihre Zwecke nutzen können. Wir setzen dafür die unterschiedlichsten Medien und Werkzeuge ein: von der klassischen Pressearbeit bis hin zu Erklärfilmen.

VdZ: Wenn Berlinerinnen und Berliner am 1. Januar 2023 das Hauptstadtportal berlin.de ansurfen, woran merken sie, dass das OZG umgesetzt ist?

Smentek: Ganz ehrlich: am besten ist es, wenn es die Nutzenden gar nicht merken. Denn es geht ja nicht darum, dass wir uns ein Fleißbienchen abholen wollen. Unser Ziel ist es, die Verwaltung auf den Kopf zu stellen. Wie wäre es zum Beispiel, wenn die Geburtsurkunde digital immer „vorrätig“ wäre? Wenn die Nutzenden nicht zuerst beim Amt eine neue beglaubige Kopie beantragen und vorlegen müssten, sondern die Behörden miteinander in Austausch treten? Dies ist der einfache und sichere Service, der mir vorschwebt. Nicht umsonst haben wir die Federführung bei den Querschnittsleistungen übernommen.

Sabine Smentek (SPD) war von Dezember 2016 bis Dezember 2021 Staatssekretärin für Informations- und Kommunikationstechnik in der Senatsverwaltung für Inneres und Sport Berlin. Sie war somit CIO des Landes Berlin. Von 2014 bis 2016 war Sabine Smentek Bezirksstadträtin für Jugend, Schule, Sport und Facility Management im Bezirksamt Mitte von Berlin.

Die studierte Diplom-Kauffrau mit Schwerpunkt Organisation/Personal + Konfliktmanagement arbeitete von 1993 bis 1994 als Unternehmensberaterin bei Price Waterhouse  (heute PriceWaterhouseCoopers – pwc) im Bereich Public Sector, bevor sie sich ab 1995 als Unternehmensberaterin selbständig machte und Projektmanagement in Reformprojekten der Öffentlichen Verwaltung, Gründungsberatung und Beratung von kleinen Unternehmen in Krisensituationen übernahm.

(Update Januar 2021)

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