Dirk Schrödter
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Aus dem Norden bläst der Wind

Schleswig-Holsteins Digitalisierungsminister und Chef der Staatskanzlei Dirk Schrödter im VdZ-Interview

Obwohl das Land im Norden liegt, fehlt hier von einem Leuchtturmprojekt fast jede Spur. Das Erfolgsrezept Schleswig-Holsteins lautet: Eine ganzheitliche Digitalstrategie und datengetriebene Verwaltung müssen her mit dem klaren Ziel, Ebenen übergreifend alle abzuholen. Im VdZ-Interview verrät Dirk Schrödter, warum die Modernisierung der Verwaltung mehr als nur Leuchttürme anzustreichen ist, welche Neuerungen in Schleswig-Holstein bevorstehen, welchen Stellenwert die Nachhaltigkeit beim Ausbau der digitalen Infrastruktur einnimmt und welche Bedingungen für den Einsatz von KI herrschen.

Verwaltung der Zukunft: Wie wird die Umsetzung des OZGs in Schleswig-Holstein koordiniert? Was sind Ihre Leuchtturmprojekte?

Schrödter: Bereits zu Beginn der OZG-Umsetzung hat Schleswig-Holstein auf Landesebene weitreichende Entscheidungen getroffen. Als eines der ersten Länder haben wir bereits sehr früh festgelegt, dass die Umsetzung des OZGs auf der zentralen, vom Land bereitgestellten und von den Kommunen in Schleswig-Holstein genutzten E-Governmentinfrastruktur erfolgt und dass das Land die komplette Finanzierung für die Entwicklung und den Betrieb der Antragsdienste übernimmt.

Dirk Schrödter ist Chef der Staatskanzlei (CdS) und Digitalisierungsminister des Landes Schleswig-Holstein. Als CdS leitet er seit 2017 die Behörde des Ministerpräsidenten, seit 2022 ist er zudem Minister für Digitalisierung und Medienpolitik im Kabinett von Ministerpräsident Daniel Günther.
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Gemeinsam mit den Kommunen haben wir den IT-Verbund Schleswig-Holstein (ITVSH) geschaffen, der als zentrale Einheit mit umfassender finanzieller und personeller Unterstützung des Landes die kommunale Umsetzung des OZGs auf Basis der zentral bereitgestellten Referenzimplementierungen und EfA-Diensten aus anderen Ländern koordiniert.

Auch wenn es gerade aus dem Norden komisch klingt: Leuchtturmprojekte sind nicht unser Ziel. Wir wollen den strukturellen Wandel der öffentlichen Verwaltung zu einer automatisierten, algorithmisierten, cloudifizierten und datenbasierten Organisation – keine isolierte Modernisierung einzelner Fachprozesse. Hierzu brauchen wir durchgehende, digitale Prozesse und somit auch eine Ebenen übergreifende Zusammenarbeit in den jeweiligen fachlichen Prozessen. Leuchttürme als solitäre Umsetzungen bringen uns da nicht weiter. Mit dem Onlinedienst Wohngeld waren und sind wir in manchen Bereichen immer noch als Pionier in der föderalen Verwaltungslandschaft Deutschlands unterwegs. Mit dem Onlinedienst Anlagengenehmigung und -zulassung haben wir das komplette Antragswesen in einem gerade wegen der Energiewende sehr wichtigen Bereich modernisiert.

VdZ: Das Landeskabinett hat im September eine neue Digitalstrategie beschlossen. Welche Neuerungen enthält diese? Welche der zwölf Leitlinien werden Sie zuerst in Angriff nehmen, welche brauchen voraussichtlich länger?

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Die Modernisierung der Verwaltung wird häufig noch als IT-Projekt wahrgenommen. Daran krankte leider auch die OZG-Umsetzung: Wer nur Portale und Antragsdienste baut, streicht nur die roten Ringe eines Leuchtturms neu.

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Dirk Schrödter, Digitalisierungsminister und CdS in Schleswig-Holstein

Schrödter: Zuerst fokussieren wir natürlich weiter auf die Modernisierung der öffentlichen Verwaltung. Diese Transformation ist jedoch nicht ein einzelnes Projekt oder etwas, um das sich eine Arbeitsgruppe monatlich einmal kümmert. Wir reden hier um einen grundlegenden strukturellen Wandel, der nicht nur unsere Werkzeuge, sondern auch unsere Zusammenarbeit und auch die rechtlichen Grundlagen des Verwaltungshandelns betrifft. Die Modernisierung der Verwaltung wird häufig noch als IT-Projekt wahrgenommen. Daran krankte leider auch die OZG-Umsetzung: Wer nur Portale und Antragsdienste baut, streicht nur die roten Ringe eines Leuchtturms neu. Schleswig-Holstein hat deswegen in seiner Digitalstrategie ein umfassendes Vorgehen zur digitalen Transformation der öffentlichen Verwaltung vorgelegt. Diesen Wandel wollen wir zunächst durch eine Fokussierung auf eine datengetriebene Verwaltung und die Verbesserung der Verwaltungsautomation durch künstliche Intelligenz unterstützen.

VdZ: Wie fördern Sie digitale Verwaltungsinnovationen?

Schrödter: Wir haben in Schleswig-Holstein den Digitalhub.SH gegründet. Dieser Hub soll die in Schleswig-Holstein bereits bestehenden Ansätze zur Innovation bündeln und in ein offenes Innovations-Ökosystem überführen. Mit dem dort eingerichteten „Landesprogramm Offene Innovation“ gehen wir neue Wege, um in Schleswig-Holstein öffentliche Stellen, Vereine und Verbände, Start-ups und den aktiven IT-Mittelstand in einem gemeinsamen Innovationsökosystem besser zu vernetzen. Wir setzen über den Digitalhub.SH europäische Ansätze für eine innovationsfördernde Vergabe um und sorgen dafür, dass Innovationsbedarf und -freudigkeit sich treffen. Die öffentliche Verwaltung muss ihre Rolle als Innovationstreiber gerade im Bereich der Digitalisierung – und hierbei insbesondere im Bereich der digitalen Daseinsvorsorge – stärker wahrnehmen.

VdZ: Mehr Digitalisierung bedeutet einen Mehrverbrauch an Strom, insbesondere in Rechenzentren. Inwiefern machen Sie Digitalisierung und Nachhaltigkeit vereinbar? Beschäftigen Sie sich zum Beispiel aktiv mit der Wärmeplanung?

Schrödter: Wir haben in Schleswig-Holstein bereits seit Jahren eine erfolgreiche Konsolidierung der von uns benötigten Rechenleistung umgesetzt: Die Landesverwaltung betreibt nahezu alle Verfahren und Infrastrukturen bei Dataport und dort in klimaneutralen und hochmodernen Rechenzentren. Gleichzeitig prägen wir bundesweit die Entwicklung einer Strategie für eine digital souveräne Cloud der deutschen Verwaltung. Hieraus erhoffen wir uns – neben der Öffnung der Wertschöpfungsketten der öffentlichen Verwaltung abseits großer monopolhafter Anbieter – auch eine Verbesserung des Wirkungsgrades unserer Infrastrukturen. Wir können bestehende Infrastrukturen nur dann besser ausnutzen, wenn wir durch Cloud-Betriebsmodelle die notwendige Elastizität und Resilienz in die Rechenzentren der öffentlichen Verwaltung bringen.

VdZ: In Ihrer Digitalstrategie gehen Sie auch auf den Einsatz von KI ein. Welche rechtlichen Rahmenbedingungen haben Sie etwa für den Einsatz von ChatGPT in der Verwaltung beschlossen? Wie soll sich der Einsatz von KI bis 2030 entwickeln?

Schrödter: Schleswig-Holstein verfügt bundesweit führend und – aus unserer Sicht auch hoffentlich – prägend über rechtliche Regelungen zum Einsatz von KI in der öffentlichen Verwaltung. Mit dem Gesetz über die Möglichkeit des Einsatzes von datengetriebenen Informationstechnologien bei öffentlich-rechtlicher Verwaltungstätigkeit (IT-Einsatz-Gesetz – ITEG) haben wir die notwendigen Grundlagen für einen professionellen und unaufgeregten Einsatz von künstlicher Intelligenz in der öffentlichen Verwaltung gelegt.

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Alle Themen, die aktuell diskutiert werden, finden Sie bereits in Schleswig-Holstein rechtlich geregelt: Innovationsfreundliche Regulierung über Automationsstufen, klare Verantwortlichkeit, Regelungen zur Transparenz sowie Dokumentation und Hinweispflichten, Grundsatz des Vorrangs menschlicher Entscheidungen.

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Dirk Schrödter, Digitalisierungsminister und CdS in Schleswig-Holstein

Alle Themen, die aktuell diskutiert werden, finden Sie bereits in Schleswig-Holstein rechtlich geregelt: Innovationsfreundliche Regulierung über Automationsstufen, klare Verantwortlichkeit, Regelungen zur Transparenz sowie Dokumentation und Hinweispflichten, Grundsatz des Vorrangs menschlicher Entscheidungen. So konnten wir sehr früh und auch sehr weitreichend den Einsatz von ChatGPT in der Landesverwaltung freigeben.

Aus unserer Sicht muss KI ein normales und übliches Verwaltungswerkzeug werden und die Rolle des Exotischen oder Neuen verlassen. Vielfältige Krisen und der anstehende personelle Wandel durch eine große Anzahl von Ruhestandsfällen zeigen doch bereits jetzt den Pfad auf: Die Verwaltung in 2030 wird keine andere Wahl haben als auf allen Ebenen möglichst weitgehend automatisiert zu arbeiten. Wir werden Menschen nicht mehr für Routinetätigkeiten einsetzen können, sondern für kreative, interdisziplinäre und lieferorientierte Arbeit in einer produktorientierten Verwaltung benötigen. Dies kann nur gelingen, wenn wir auf datengetriebene und durch KI stark automatisierte Verwaltungsprozesse setzen.