Ministerium des Inneren, für Digitalisierung und Kommunen Baden-Württemberg
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"Es muss darum gehen, die digitale Leitregion Europas zu werden"

Interview mit Stefan Krebs, CIO und CDO von Baden-Württemberg

Baden-Württemberg beschließt eine weiterentwickelte Digitalstrategie digital.Länd. Die VdZ-Redaktion sprach mit Stefan Krebs, CIO und CDO Baden-Württembergs, über die Leuchtturmprojekte der Strategie, die Umsetzung des OZG und die Zusammenarbeit zwischen dem Bund und Länder.

Verwaltung der Zukunft (VdZ): Am 18. Oktober 2022 beschloss die Landesregierung Baden-Württemberg die weiterentwickelte Digitalisierungsstrategie digital.LÄND. Können Sie uns die wichtigsten Leuchtturmprojekte dieser Strategie erläutern?

Stefan Krebs: Insgesamt haben wir von 2016 bis Ende 2021 bereits mehr als zwei Milliarden Euro in die Digitalisierung unseres Landes investiert. Damit haben wir teils auch echte Pionierarbeit geleistet, etwa im Bereich der Künstlichen Intelligenz. Zielgerichtet hat die Landesregierung 2017 auch die Digitalisierungsaktivitäten noch einmal ganz konkret gebündelt und eine umfassende Digitalisierungsstrategie beschlossen.

Nehmen wir den Bereich wichtiger Zukunftstechnologien, hier wollen wir auch in Zukunft strategisch unabhängig und wettbewerbsfähig sein. Zum Beispiel das Cyber Valley in der Region Stuttgart-Tübingen. Das ist inzwischen weltweit ein Aushängeschild für die exzellenten Leistungen des Landes in diesem Bereich. Solche Leuchttürme werden wir stärken und damit ganz gezielt in unsere Zukunft investieren – ob im Bereich der KI, der Quantentechnologien oder der Cybersicherheit. Mit der Errichtung des Innovationsparks KI in Heilbronn wollen wir die wirtschaftliche Verwertung steigern.

Klar ist: Daten sind der Rohstoff der Zukunft, sie können mittlerweile im Gesundheitssektor sogar Leben retten. Die Erfassung, Verfügbarkeit und Nutzbarkeit derer bilden die Grundlage für weiteren Fortschritt. Im Bereich Mobilität engagieren wir uns beispielsweise im bundesweiten Mobility Data Space und stellen über die landeseigene Datenplattform MobiData BW Daten und digitale Dienste für eine verkehrsträgerübergreifende Mobilität in Baden-Württemberg zur Verfügung. So können sich Bürgerinnen und Bürger über entsprechende Anwendungen in Echtzeit informieren.

Denn Digitalisierung, das gelingt nur mit – und nicht gegen die Menschen. Daher muss die Digitalisierung gerade auch in unserem Alltag einen echten Mehrwert generieren und durch ihre Vorteile überzeugen. Deshalb fördern wir die persönlichen Kompetenzen im Umgang mit den digitalen Möglichkeiten und führen unsere Digitalakademie@bw fort. Sie ist unser landesweites Kompetenzzentrum für die Landesverwaltung, Städte, Gemeinden und Landkreise. Ihre Schulungsangebote für Führungskräfte der Landesverwaltung wie auch Mitarbeitende in den Kommunen bauen wir weiter aus.

Auf technischer Seite sind leistungsfähige Kommunikationsnetze und Rechenzentren zentrale Voraussetzung für eine erfolgreiche Digitalisierung. Bis 2025 sollen deshalb überall im Land gigabitfähige Netze vorhanden oder deren Ausbau zumindest auf den Weg gebracht sein. Dort, wo der Markt keine Lösungen anbietet, wird das Land den Ausbau von Glasfasernetzen weiterhin finanziell unterstützen. Außerdem wollen wir spätestens 2026 eine gemeinsame sichere, zukunftsfähige und klimaneutrale Infrastruktur an Rechenzentren für die Landesverwaltung bereitstellen.

Digitalisierung, das ist doch vor allem auch Vertrauen. Insofern gilt: Eine weitere Grundlage für erfolgreiche Digitalisierung ist die Gewährleistung der Cybersicherheit, denn wir dürfen auch die Risiken der Digitalisierung nicht außer Acht lassen. Baden-Württemberg verfolgt eine klare Cybersicherheitsstrategie und hat bereits 2021 eines der bundesweit ersten Cybersicherheitsgesetze geschaffen. Die Cybersicherheitsagentur kann operativ wirken und so wurde bereits ein erster Meilenstein für mehr Cybersicherheit erreicht, denen als Teil der Digitalisierungsstrategie weitere Ressourcen zur Verfügung gestellt werden sollen. Außerdem soll das wirtschaftliche Potenzial von Cybersicherheit noch stärker genutzt werden. Künftig sollen also noch mehr Cybersicherheitslösungen aus Baden-Württemberg stammen.

VdZ: Worin liegt der große Unterschied zur vorherigen Digitalstrategie digital@bw (Beschluss vom 18. Juli 2017)?

Krebs: Mit der Digitalisierungsstrategie digital@bw hat Baden-Württemberg im Jahr 2017 Neuland betreten. In vielerlei Hinsicht haben wir damit Pionierarbeit geleistet. Zum einen war es die erste landesweite und ressortübergreifende Strategie dieser Art. Zum anderen befanden sich viele Inhalte der Strategie, wie Schlüsseltechnologien und digitale Innovationen, noch im Anfangsstadium. In der Zwischenzeit hat sich hier viel getan und neue Entwicklungen müssen miteinbezogen werden.

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Der Förderstopp durch den Bund kam für die Länder und Kommunen völlig unerwartet und ist schon ein harter Schlag.

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In der Weiterentwicklung der Strategie berücksichtigen wir den fortlaufenden technologischen Fortschritt sowie die aktuellen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen. Beispielsweise war beim Beschluss der ersten Digitalisierungsstrategie das Cyber Valley noch kein Jahr alt und Künstliche Intelligenz primär ein Forschungsthema. Nunmehr ist Künstliche Intelligenz ein Thema der Wertschöpfung und auch in der Justiz und Verwaltung praktisch relevant. Diese praktischen Anwendungsfelder sollen mit digital.LÄND weiter ausgebaut werden.

In ähnlicher Weise hat das Thema Daten in den vergangenen Jahren erheblich an Bedeutung gewonnen. Ihm widmen wir in der weiterentwickelten Strategie ein eigenes Kapitel.

VdZ: Der Innenminister des Landes Baden-Württemberg, Thomas Strobl, überreichte diesen Oktober 47 Förderbescheide an Kommunen von einem Gesamtvolumen von ca. 76,6 Mio. Euro. Das Ziel: Flächendeckende Breitbandinfrastruktur bis 2025. Nun kam es zu einem vorzeitigen Förderstopp für den Glasfaserausbau. Wie sehr betrifft dieser Stopp den Ausbau in Baden-Württemberg?

Krebs: Seit 2016 hat das Land Baden-Württemberg für 3.231 Projekte insgesamt 1,77 Milliarden Euro an Landesmitteln für den Breitbandausbau zur Verfügung gestellt - und mit einer intelligenten Förderpolitik dafür gesorgt, dass nochmal 2,12 Milliarden Euro vom Bund nach Baden-Württemberg fließen. Insgesamt wurden damit rund 3,89 Milliarden Euro ins schnelle Internet investiert – so viel wie nirgendwo sonst in der Republik. Allein im Jahr 2021 hat das Digitalisierungsministerium rund 821 Millionen Euro für den kommunalen Breitbandausbau bewilligt. Das ist ein absoluter Rekord und Spitzenwert, auch im Ländervergleich. Auch in Zukunft will das Land den Breitbandausbau der Kommunen im hohen Maße finanziell unterstützen.

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Klar ist aber auch: Wir müssen an vielen Stellen noch besser werden

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Hier ist Verlässlichkeit ganz wichtig. Der Förderstopp durch den Bund zum 17.10.2022 kam für die Länder und Kommunen deshalb völlig unerwartet und ist schon ein harter Schlag, vor allem für unsere Kommunen und unseren ländlichen Raum. Im Vertrauen auf die vom Bund in Aussicht gestellten Fördergelder wurde dort bereits viel Zeit und Geld in Planungen investiert, um den Breitbandausbau im Land voranzubringen. Nun stehen unsere Kommunen vor der großen Herausforderung, ihre Planungen an ein bis jetzt unbekanntes, neues Förderregime anzupassen. Die Ankündigung des Bundes, die Zuschüsse künftig noch stärker am tatsächlichen Bedarf in den Regionen ausrichten zu wollen, sorgt für zusätzliche Unsicherheit bei den Kommunen. Es ist deshalb sehr wichtig, dass der Bund die Länder in seine Planungen frühzeitig mit einbezieht. Denn nur, wenn wir weiterhin und in bewährter Weise gemeinsam an einem Strang ziehen, können wir unsere ehrgeizigen Digitalisierungsziele erreichen.

VdZ: Ein weiteres Thema der Digitalstrategie: Das OZG verpflichtet Bund, Länder und Kommunen, bis Ende 2022 ihre Verwaltungsleistungen über Verwaltungsportale auch digital anzubieten. Viele Verwaltungen verpassen dieses Ziel. Wie sieht es in Baden-Württemberg aus? Ist das OZG bei Ihnen in Baden-Württemberg eine Erfolgsgeschichte?

Krebs: Kein Land erreicht das Ziel der vollständigen OZG-Umsetzung bis Ende des Jahres 2022 – auch Baden-Württemberg nicht. Im Bundesvergleich ist die OZG-Umsetzung in Baden-Württemberg dennoch eine Erfolgsgeschichte: Mit insgesamt 256 digitalisierten Verwaltungsleistungen befinden wir uns auf dem dritten Platz und haben bereits heute eine weit überdurchschnittliche Umsetzung in der Fläche unseres Landes vorzuweisen. Hinzukommt, dass wir mit unserer landeseigenen Serviceplattform service-bw auch infrastrukturell klare Maßstäbe setzen, das zeigt sich auch in unseren länderübergreifenden Kooperationsvereinbarungen in diesem Bereich, z.B. mit dem Freistaat Sachsen. Klar ist aber auch: Die OZG-Umsetzung kann nur gelingen, wenn wir unsere Kommunen, also diejenigen, die als unmittelbare Leistungserbringer der meisten OZG-Leistungen gegenüber unseren Bürgerinnen und Bürgern in der Pflicht sind, an Bord holen. Mithilfe des Digitalen Schnellbaukastens, einem Tool, welches es den Kommunen ermöglicht, eigenständig Online-Dienste zu erstellen und auf service-bw ihren Bürgerinnen und Bürgern sowie Unternehmen bereitzustellen, haben wir beispielsweise in Baden-Württemberg so bereits einen Großteil der Verwaltungsleistungen digitalisiert. Das zeigt: Wir können gemeinsam mit den Kommunen der OZG-Umsetzung einen erfolgreichen Schwung verpassen. Diesen Schwung müssen wir auch in 2023 beibehalten. Hierfür stellen wir uns im Moment neu auf, indem wir die Zusammenarbeit zwischen den Landesressorts, Kommunen und den Kommunalen Spitzenverbänden sowie die Umsetzungsprozesse von Digitalisierungsprojekten noch einmal scharf in den Blick nehmen.

Eines ist dabei auch sehr deutlich erkennbar: Gerade kleinere Gemeinden, die im Flächenland Baden-Württemberg mit seinen insgesamt 35 Landkreisen und den 1.101 Städten und Gemeinden sehr zahlreich vorkommen, tun sich in der konkreten Umsetzung der Verwaltungsdigitalisierung schwer. Jenseits der täglichen Regelstruktur sind dort in vielen Fällen keine zusätzlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vorhanden, die sich in eine End-to-End Digitalisierung hineinknien könnten.

Deswegen unterstützt das Land seine Kommunen hier nun auch ganz gezielt personell. Zu diesem Zweck fördern wir als Land on-top in jedem Landkreis jeweils eine Stelle für e-Government-Koordinatoren (insgesamt 35, zzgl. 3 bei den kommunalen Landesverbänden in Baden-Württemberg) zu 100% mit insgesamt rund 8 Millionen Euro. Damit unterstützen wir die kreisangehörigen Kommunen bei der Umsetzung des OZG sowie bei weiteren Digitalisierungs- und Change-Management-Aufgaben.

VdZ: Trotz des OZG und zunehmenden Angeboten muss festgehalten werden, dass die e-Government Angebote noch zu wenig genutzt werden. 2021 lag Baden-Württemberg laut der Initiative D21 „eGovernment MONITOR“ sogar nur auf Platz 12 im Vergleich mit den anderen Ländern bei der Frage, ob in den letzten zwölf Monaten ein eGovernment-Angebot genutzt wurde. Sehen Sie das auch so? Werden in Baden- Württemberg die digitalen Angebote der Verwaltungen zu wenig genutzt und woran könnte das liegen?

Krebs: Stand heute wurden bereits über 825.000 Servicekonten auf unserer landeseigenen E-Government-Plattform service-bw registriert: Von Anfang 2020 bis heute, also binnen etwas mehr als zweieinhalb Jahren, haben sich die Zahlen von 384.000 Nutzerkonten auf gut 825.000 mehr als verdoppelt. Anhand der veröffentlichten Daten des Bundes (200.000 Nutzerkonten) und aus Bayern (500.000 Nutzerkonten) zeigt sich: Baden-Württemberg ist hier gut aufgestellt.

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Das gleiche gilt übrigens auch für die anstehende Registermodernisierung des Bundes. Hier muss der Bund liefern.

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Klar ist aber auch: Wir müssen an vielen Stellen noch besser werden. Einerseits bei der Kommunikation und andererseits bei der Akzeptanz von Online-Diensten, gerade auf der kommunalen Ebene. Dabei spielt gerade auch die Nutzerzentrierung eine nicht zu unterschätzende Rolle. Mit den E-Government-Koordinatoren legen wir hier einen ganz zentralen Eckstein, sodass wir noch gezielter Synergien und vor allem gemeinsame Impulse setzen können.

VdZ: Werfen wir einen Blick in die Zukunft: Das OZG und der vollständige Breitbandausbau wurden umgesetzt, die Akzeptanz von digitalen Bürgerservices wurde erhöht. Welche Themen und Projekte zur Digitalisierung müssen dann in Baden-Württemberg dringend umgesetzt werden?

Krebs: Die Digitalisierung ist ein sich stetig wandelnder Prozess, ein vielschichtiges Projekt mit den unterschiedlichsten Aufgabenstellungen. Weitere Entwicklungen lassen sich heute nur erahnen. Nicht zuletzt ist die Digitalisierung von aktuellen Entwicklungen in Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft geprägt – wie beispielsweise zuletzt die Corona-Pandemie, welche sozusagen wie ein Booster für die Digitalisierung gewirkt hat.

Im Bereich Cybersicherheit prägen wiederum die aktuellen Geschehnisse um den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands, der zeigt: Kriege werden heute auch über das Netz geführt und machen deutlich, welchen Herausforderungen und Abhängigkeiten unsere hochentwickelte und vernetzte Gesellschaft unterliegt.

Deshalb haben wir in Baden-Württemberg zum Beispiel bereits sehr frühzeitig die Zeichen der Zeit erkannt und die Cybersicherheitsagentur eingerichtet sowie Kooperationspartnerschaften – auch international, z.B. mit Israel oder dem US-Bundesstaat Kalifornien – geschlossen. Wir denken die Digitalisierung vernetzt. Das gleiche gilt übrigens auch für die anstehende Registermodernisierung des Bundes. Hier muss der Bund liefern, damit wir auch die Verwaltungsmodernisierung nach dem Once-Only-Prinzip noch einmal auf ein ganz neues Level gehoben bekommen. Ziel ist es, dass unsere Bürgerinnen und Bürger ihre Daten nur noch einmal eingeben müssen und sich die notwendigen Datensätze dann auch ebenenübergreifend aus den verschiedenen Registern gezogen werden.

Digitalisierung bedeutet, nämlich gerade auch Ebenen übergreifend zu denken, zu handeln und auch umzusetzen. Baden-Württemberg ist als einziges Land flächendeckender Innovationstreiber im Innovationsranking der Europäischen Union. In den nächsten Jahren muss es daher darum gehen, nun auch digital zu der Leitregion Europas zu werden. In diesem Sinne werden auch wir unsere eigenen Vorhaben immer wieder überprüfen und anpassen müssen. Um auf die Veränderungen schnell reagieren zu können, haben wir bereits 2016 einen Kabinettsausschuss Digitalisierung eingerichtet.