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Zeit für einen Neustart in der (Verwaltungs-)Digitalisierung Deutschlands

Ständig werden in Deutschland Digitalisierungsprojekte angestoßen, Digitalgipfel abgehalten und große Reden geschwungen. Doch bleibt das alles nur heiße Luft? Das OZG ist gescheitert und Deutschland hinkt im internationalen Vergleich weit hinterher. Dafür gibt es mehrere Gründe. Hr. Gruber, Prof. Dr. Müller-Török und Dr. Rösinger identifizieren die Baustellen der Nation und diskutieren sinnvolle Handlungsempfehlungen.

Es herrscht, zumindest außerhalb der „Berliner Blase“, Einigkeit darüber, dass Deutschland bei der Digitalisierung und vor allem im e-Government zu den mittelmäßig entwickelten Ländern zählt. Einige ausgewählte Belege von vielen dafür sind

  • Im e-Government Benchmark 2022 der Europäischen Kommission liegt Deutschland auf Platz 21 von 32 Staaten, hinter Ungarn und knapp vor der Tschechischen Republik.
  • Im UN E-Government Survey 2022 liegt Deutschland beim E-Government Development Index auf Platz 22 der europäischen Staaten.
  • Im European Commission Digital Economy and Society Index (DESI) 2022 liegt Deutschland zwar mit Platz 13 im Mittelfeld der EU-27, aber Detailaussagen wie
    • Digital Public Services Rang 18
    • Fibre to the premises (oder Glasfaserausbau) Rang 26 und Vorletzter mit 15,4 % bei einem EU-Schnitt von über 50 %
    • e-Government-Nutzer, die interaktiv mit der Verwaltung kommuniziert haben innerhalb des letzten Jahres: Rang 24
    • vorausgefüllte Formulare (anstatt alles nochmals eintippen zu müssen): unter den EU-weit fünf schlechtesten
  • rücken das Bild zurecht.

Es werden zwar unentwegt Digitalisierungsprojekte gestartet, beispielsweise 2021 die Registermodernisierung oder 2023 das OZG 2.0, es werden Digitalgipfel abgehalten, aber: Die Ergebnisse bleiben aus. So besteht Einigkeit darüber, dass das OZG (1.0) gescheitert ist; es besteht kein Zweifel, dass Deutschland die Umsetzung der SDG-VO zum 12.12.2023 nicht schaffen wird – Woran liegt es?

Deutschland im direkten internationalen Vergleich

Deutschland hat im internationalen Vergleich mitunter aufgrund bürokratischer Hürden und langsamer Adaption digitaler Technologien den Ruf erlangt, hinterherzuhinken.
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Blickt man über die Grenzen, so erkennt man

  1. Dass im bettelarmen Moldau, BIP 5.230 USD/Jahr, behördliche Dokumente wie Personalausweise problemlos von Postdienstleistern zugestellt werden und der Sendungsstatus auch verfolgt werden kann, während dies in Deutschland, BIP 51.203 USD /Jahr, „ab November 2024“ möglich werden soll.
  2. Dass in Rumänien, BIP 14.858 USD/Jahr, seit 4. Juli 2023 alle Behörden elektronisch signierte Dokumente akzeptieren müssen, während es in Deutschland dank 17 identischen § 3a der Landes- und Bundesverwaltungsverfahrensgesetze immer noch eine freie Entscheidung jeder einzelnen (!) Behörde ist, ob sie signierte Dokumente vom Rechtsunterworfenen zu akzeptieren bereit ist, schmerzt.
  3. Dass es in der im Krieg um die eigene Existenz befindlichen Ukraine, BIP 4.835 USD/Jahr, möglich war und ist, eine einfache Behördenapp zu haben, die laut Behördenspiegel den deutschen Bundeslandwirtschaftsminister „flasht“, Zitat: „Ich war neulich zum zweiten Mal in der Ukraine und ich war geflasht, dass die eine Behördenapp haben, die für den digitalen Führerschein ebenso funktioniert wie für die Steuererklärung [..] Wir sollten von unserem hohen Ross heruntersteigen und uns ansehen, wie die Ukraine Verwaltungsdigitalisierung macht."
  4. Und zuletzt Nigeria, BIP pro Kopf 2.065 USD/Jahr, zerrissen von Boko Haram, Korruption etc., wo es dennoch problemlos in etlichen Bundesstaaten seit Jahren möglich ist, Autos digital zuzulassen. Etwas, was in Deutschland seit Kurzem möglich und worauf man sehr stolz ist. Eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung attestiert dem iKFZ „grundsätzliche Usability- und Bedienungsprobleme, insbesondere im Zusammenhang mit der Authentifizierung über die eID und AusweisApp, Freilegen von Codenummern auf der Plakette und Bezahlung der Gebühren, die auch über Erklärtexte, Videos und Beratungsangebote nicht hinreichend behoben werden können."

Die Beispiele und Vergleiche sind zahllos. Kurz zusammengefasst: Das deutsche e-Government hat den Anschluss an westliche Industriestaaten verloren und kann sich mittlerweile offenbar auch nicht mehr problemlos mit bettelarmen, im Krieg befindlichen oder hochgradig korrupten Staaten messen.

Eine Ergründung der Ursachen

Und täglich grüßt der Föderalismus

Funktionierendes e-Government bedarf, wie die Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, zentraler Elemente wie

  • einheitlicher Verfahrensgesetze, 17 allgemeine, unterschiedliche Verwaltungsverfahrens- und –zustellgesetze sind im Jahr 2023 absurd.
  • einheitlicher und zentraler Register. Die Landeshauptstadt München belegt mit ihrer „Bevölkerung am 31.12.2022 nach Nationalität und Geschlecht“, wohin zigtausende dezentrale Einwohnermelderegister führen. So werden hier allernstlich 10 tschechoslowakische, 1 sowjetischer, 20 jugoslawische (bundesrepublikanisch), 10 serbisch einschließlich kosovarische und 163 Einwohner von Serbien und Montenegro geführt. Allesamt Staaten die seit 20 und mehr Jahren nicht mehr existieren.
  • einheitlicher und verbreiteter eID und, damit verbunden, qualifizierter elektronischer Signatur. Diese muss als staatliche Infrastruktur gratis oder sehr günstig zur Verfügung gestellt werden, um hohe Nutzung sicherzustellen. EUR 171,36 für eine qualifizierte Einzelsignaturkarte für einen „Bürger“, zu der man noch ein Kartenlesegerät benötigt, sind nur geeignet, ebendiese Bürger abzuschrecken. Ebenso komplexe Preismodelle mit „Signaturcoins“ für die Fernsignatur, die ebenfalls Kosten nach sich ziehen. Die österreichische Handysignatur war und ist kostenlos.

Fehlendes Programm-Management und Projektcontrolling

Mit dem OZG hatten sich Bund und Länder die Aufgabe gestellt, den Bürger*innen bis Ende 2022 ein Paket von 575 staatlichen Dienstleistungen auf digitalem Wege zugänglich zu machen. Zum vergangenen Jahreswechsel waren davon laut Bundestag nur 105 freigeschaltet. Diese extreme Soll-Ist-Abweichung hätte viel früher erkannt werden müssen, um entsprechende Korrekturmaßnahmen einzuleiten. Für die Umsetzung des Projektes gab es keine adäquate Projektorganisation, wie das berühmte „OZG-Wimmelbild des NKR“ illustriert.

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Deutschland schafft es seit mittlerweile 20 Jahren nicht, das Projekt „Entwicklung eines bundeseinheitlichen Datenbankgrundbuchs“ zu Ende zu bringen. Wann und ob das gelingen wird, ist nicht abzusehen. 

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Auch in der Vergangenheit versagte das Programm- bzw. Projektmanagement: So schafft es Deutschland seit mittlerweile 20 Jahren nicht, das Projekt „Entwicklung eines bundeseinheitlichen Datenbankgrundbuchs“ zu Ende zu bringen. Wann und ob das gelingen wird, ist nicht abzusehen.

Bezeichnend ist, dass sowohl OZG als auch die Registermodernisierung offenbar keinen verantwortlichen Projektleiter haben. Intensive Recherchen und Gespräche der Autoren ergaben hier keinen Namen. Bei der Registermodernisierung wird „das Bundesverwaltungsamt“ als Projektleiter genannt, aber auch hier keine konkrete Person. Paradoxerweise kennt das BVA durchaus Projektleiter, wie bei der Digitalisierung von Auslandsschulen, benennt in eigenen Projektmanagementleitfäden die Notwendigkeit von Projektleitern (S. 38), aber es nennt keinen für das Mammutprojekt Registermodernisierung. Im Gegensatz zur vielgescholtenen Deutschen Bahn AG, die für Stuttgart 21 sehr wohl einen Projektleiter benannt hat.

Geht es Deutschland finanziell zu gut? 

Die besten e-Government-Lösungen entstehen in Staaten, die Haushaltsprobleme haben bzw. hatten. So ist das portugiesische e-Procurement-Regime und -System anerkannter Weise eines der besten Europas, geboren 2008 im Nachgang der Finanzkrise, die Portugal an den Rand des Kollaps brachte. Oder Italien, welches bereits 2014 die e-Rechnung als verpflichtend für B2G-Transaktionen einführte, 2019 für B2B und B2C. Deutschland ist hier, wie bei den meisten Digitalisierungsthemen, weit abgeschlagen.

Der fehlende politische Wille

In Ländern, in denen e-Government erfolgreich ist, war zumindest zu Beginn ein klarer politischer Wille erkennbar.

Dr. Markus Richter ist CIO und Staatssekretär im BMI. Damit befindet er sich weit entfernt vom direkten Zugang zum Kanzler.
© bundesfoto/Bernd Lammel

So waren in Österreich die Agenden für Digitalisierung zu Beginn bis in die Ära Kurz im Bundeskanzleramt angesiedelt; der CIO ist seit 2001 ein renommierter Wissenschaftler,  während in Deutschland der CIO des Bundes ein Staatssekretär im Innenministerium ist, weit entfernt vom direkten Zugang zum Kanzler. Auch Landes-CIOs sind häufig auch nicht beim Ministerpräsidenten angesiedelt, womit eines klar ist: Digitalisierung ist keine Chefsache.

Dass jüngst in Bayern die Freien Wähler bei Fortsetzung der Koalition das Digitalministerium erhielten, lässt vermuten, dass es in den Augen des größeren Koalitionspartners und des Ministerpräsidenten das am leichtesten zu verschmerzende Ressort war und auch im Freistaat Digitalisierung eher keine Chefsache ist.

Die Handlungsempfehlungen für eine erfolgreiche Digitale Transformation in der Verwaltung

An dieser Stelle seien die wichtigsten Stellschrauben benannt, die zu einer Verbesserung der Situation notwendig sind, diese sind vor allen anderen:

  • Richtlinienkompetenz auf Bundesebene
  • Zentrales Programm-Management und Projektcontrolling für wenigstens die Ebenen Bund und Länder
  • Zentrale Register als „Single Point of Truth”; mehrere tausend Melderegister und eine unbekannte Zahl sonstiger Register sind nicht akzeptabel
  • Verbindlicher oder durch allgemeine Übereinkunft als verbindlich behandelter Styleguide für alle e-Government-Anwendungen
  • Eine einzige eID – hier wurde mit der BundID ein Schritt in die richtige Richtung gemacht
  • Eine einzige e-Zustellung, die alle Einwohner verbindlich nutzen müssen, nach dänischem Vorbild.
Eine einzige eID – hier wurde mit der BundID ein Schritt in die richtige Richtung gemacht
© BMI

Möchte Deutschland im e-Government vorankommen (bzw. aufholen), dann sind Einschnitte und Änderungen notwendig, welche eine nationale Kraftanstrengung erfordern. Eventartige Veranstaltungen wie der jüngste Digital-Gipfel in Jena werden hier nichts verändern. Sich dort über Themen wie Gemeinwohlorientierung, lernfähige Robotik oder Nachhaltigkeit auszutauschen ist löblich, aber in Anbetracht nicht funktionierender Verwaltungsinfrastruktur die falsche Priorität. Solange die Bürger vor Zulassungsstellen, Ausländerbehörden, Passämtern etc. Schlange stehen, bedarf es anderer Prioritäten.

Ein Ausweg wäre es, einen nationalen Konvent einzuberufen, ähnlich dem 2003-2005 abgehaltenen Österreich-Konvent und dort

  • Klartext zu reden
  • Alle relevanten Gruppen an einen Tisch zu holen
  • Die notwendigen Änderungen, ggf. auch Kompetenzregelungen des Grundgesetzes, zu vereinbaren
  • Eine entsprechende Umsetzungsstruktur mit den notwendigen Vollmachten und Ressourcen auf den Weg zu bringen.

Die Frage ist, wer in Deutschland die notwendige, formale wie moralische Autorität hat, so einen Konvent zu initiieren. Dass es notwendig wäre, ist offensichtlich.

► Deutschland ist in Bezug auf Verwaltungsdigitalisierung abgehängt. Um hier die notwendigen Veränderungen zu erreichen, ist massives Umdenken und möglicherweise sogar ein Konvent erforderlich, der die Aufgabenverteilung zwischen den verschiedenen Ebenen diskutiert und verändert.