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Hilfe! Die Silvesternacht naht!

Es ist noch nicht lange her, da konnten wir uns ohne große Sorgen und massive Sicherheitsplanungen vorbehaltlos auf Silvester freuen! Jedenfalls der Teil der Bevölkerung, der nicht in der Nacht zum neuen Jahr dienstlich aktiv sein musste. Sei es in den Krankenhäusern, deren Notaufnahmen rund um Mitternacht von Unvernünftigen, die mit was-weiß-ich-wo gekauften oder in Heimarbeit zusammengebastelten Böllern und Raketen sich und andere in Lebensgefahr gebracht haben, traditionell gut frequentiert waren oder bei den Polizeien und Feuerwehren des Landes, die in dieser Nacht schon immer vieles zu beklagen hatten – nur keinen Mangel an Arbeit.

Im TV lief zunächst auf fast allen Kanälen die 567. Wiederholung von „Dinner for One" und anschließend irgendeine Silvestershow, die sich nur marginal von den Shows der letzten 10 Jahre unterschied. Was man allerdings von den berühmten Neujahrsansprachen der Kanzlerin und aller Kanzler auch sagen könnte. Man traf sich im Kreise der Familie und der Freunde, gerne rundum versorgt mit leckerem Essen, nicht selten Raclette oder Fondue und in der Regel wurde nicht ausschließlich Mineralwasser getrunken. Gegen Mitternacht wurde (mindestens) eine Flasche Sekt geköpft, mit anschließendem Feuerwerk. Je nach Temperament des Regisseurs, schwankten die Darbietungen zwischen moderater Illumination des Himmels und einer multimedialen Böller – und Lichtershow, die selbst in Las Vegas für großes Aufsehen gesorgt hätte.

Und am nächsten Tag sah die Bevölkerung dem neuen Jahr mit einer Mischung von Neugier und Vorfreude entgegen - entsprechend war auch die Berichterstattung in den Medien.

Spätestens seit der berühmt-berücksichtigten Kölner Silvesternacht 2015/2016 hat sich dies leider komplett verändert. Auch die Berichterstattungen nach der letzten Silvesternacht 2022/2023 – nicht nur die aus der Hauptstadt Berlin – ähnelten eher einer Art Kriegsberichterstattung, als dem Rückblick auf feucht-fröhliche, aber friedliche Ereignisse der vergangenen Nacht. Da ging es zum Teil um massive Ausschreitungen in mehreren Großstädten, gezielte Angriffe (auch) mit Waffen auf Polizistinnen und Polizisten, Feuerwehren, ja sogar Sanitätspersonal. Da wurde die Silvesternacht nicht zum Anlass genommen das vergangene Jahr Revue passieren zu lassen und mit Vorfreude in das neue Jahr hinein  zu feiern – da tobte der Mob, da flogen Fäuste und Steine und vieles mehr.

Und selbstverständlich wurde am nächsten Tag amtlicherseits verkündet, dass die Täterinnen und Täter „die ganze Härte des Gesetzes" zu spüren bekämen, dass die Justiz „zügig und konsequent" die Ausschreitungen juristisch aufarbeiten würden. Als wenn das so einfach wäre, wenn im Dunkel der Nacht maskierte Chaoten aus sicherer Entfernung aus einer großen Menge heraus gut geplante Attacken starten.

Heute wissen wir, dass die strafrechtliche Bilanz jener Nächte eher deprimierend ist, trotz intensiver Ermittlungsbemühungen der zuständigen Behörden.

Neben den üblichen Delikten wie Körperverletzung, gefährliche Körperverletzung, Sachbeschädigung usw. spielt dabei die aktuelle Fassung des § 125 StGB (Landfriedensbruch) eine überragende Rolle.

Denn: Die bloße „Zugehörigkeit" zu einer unfriedlichen Menge ist NICHT tatbestandsmäßig! Auch nicht das passive Dabeibleiben, wenn eine zunächst friedliche Zusammenkunft – volkstümlich formuliert – aus dem Ruder läuft, wenn Gewalt nicht nur verbal gefordert, sondern handfest ausgeübt wird. Juristisch formuliert: Das Mitmarschieren, das inaktive, bloße Dabeisein, ist strafrechtlich irrelevant.

Das war früher anders! Wer sich trotz Aufforderung nicht aus der Menge entfernte, musste mit strafrechtlichen Konsequenzen rechnen.

Heute wird die Grenze zur Strafbarkeit erst dann überschritten, wenn mittels Vermummung oder Schutzbewaffnung den Gewalttätern aktiv geholfen wird.

Und da es für jede Strafverfolgungsbehörde schwierig ist, einzelnen Täter ganz konkrete Taten nachzuweisen, wenn diese – namentlich im Schutze der Dunkelheit – aus einer größeren Menschenmenge heraus agiert haben, gibt es immer mal wieder die Forderung, das aktuelle Recht zu ändern. Und immer wieder verlaufen derartige Vorstöße im Sande, weil – mal wieder – das Ende des Rechtsstaates befürchtet wird. Noch bevor eine Sachdebatte überhaupt begonnen hat.

Dagegen scheint die aus Erfahrungen gestärkte Vermutung viele Gewalttäter und -täterinnen, am Ende doch nicht belangt werden zu können, das viel kleinere Problem zu sein. Vom Schicksal der Opfer derartiger Exzesse ganz zu schweigen. Das Wort „Opfer" scheint ohnehin gegenüber dem Wort „Täter*in/Tatverdächtige" die wesentlich geringere Relevanz zu haben.

Was glauben Sie? Freut sich die Polizei in unseren Großstädten tatsächlich auf die kommende Silvesternacht oder brütet man dort aus den bitteren Erfahrungen der Vergangenheit schon seit Monaten über neue Sicherheitskonzepte? Wer wird wohl die ersten Schlagzeilen des Jahres füllen – die Chaoten, die ganze Stadtviertel in Angst und Schrecken versetzen oder die Inhalte der Neujahrsansprache von Kanzler Scholz?